Der familienrechtliche “Kuhhandel” und sein Ausgang.
In meiner Praxis begegnet mir immer wieder ein Phänomen, das von den Gerichten und den meisten Juristen als wohlwollender Vergleich respektive Kompromiss vorgeschlagen wird, eine Art Tausch: Zustimmung für den Umzug einer Elternperson gegen den Erhalt des gemeinsamen Sorgerechts des anderen Elternteils.
In diesem Beitrag werde ich erläutern, wie diese Strategie in ausnahmslos allen mir bekannten Fällen bisher ausging. Ziel des Beitrags ist, Eltern, Juristen, Fachkräfte und vor allem Richterinnen und Richter auf die danach häufig eintretende Realität aufmerksam zu machen.
Biographiebrüche als “Allheilmittel”
Endet eine Beziehung, ist ein anschließender Umzug eines Elternteils – die räumliche Trennung – die Regel. Der Unterschied ist: Zieht der Elternteil weg, der das Kind nicht hauptbetreut, erfolgt sein Umzug meist innerhalb des Wohnortes, nach Möglichkeit möglichst nah an der alten gemeinsamen Wohnung. Die Umzugspläne der Elternperson, die das Kind hauptbetreut, fallen meist anders aus. Oft sollen anschließend Hunderte von Kilometern zwischen den Wohnorten liegen. Fast schon zur Regel gehört, dass der Umzug der hauptbetreuenden Elternperson diese entweder zurück in den Schoß der Herkunftsfamilie führt oder in das Haus einer neuen “Liebe”.
Fun fact dabei: Mit ihrer Herkunftsfamilie hat die Elternperson davor häufig Jahre oder Jahrzehnte lang wie Hund und Katz gelebt und der/die aktuelle Ex-Partner*in war die damalige “Liebe”, die dieser Person einen sicheren Hafen bot. Ein Bruch mit der unliebsam gewordenen Familie, da ein Retter oder Retterin am Horizont erschien.
Sobald allerdings der Retter/Retterin unliebsam wird, wird nach Ersatz geschaut und eine neue “Rettung” oft noch während der Beziehungsdauer angebahnt. Ist keine neue Rettung in Sicht, ist die Rückkehr in das alte Familienumfeld die zweite Wahl. Dritte Wahl sind Freundinnen und Freunde, die eigens für diesen Zweck nach Jahren abgestaubt werden und einem auch mal hin und wieder zu einem neuen Job verhelfen. In der Herkunftsfamilie heißt es dagegen: man habe sich ausgesprochen und wieder zueinander gefunden,. Und das Kind/die Kinder freuen sich auf die neue Umgebung, neue Freunde und vor allem auf Oma und Opa, heißt es. Auch wenn der gesunde Menschenverstand einem sagt, dass das so nicht stimmen kann, weil die Kinder niemanden dort kennen und die Elternperson an “Oma und Opa” bisher kein gutes Haar gelassen hat, deshalb dürfte es eher im Bereich des unwahrscheinlicher liegen, dass sich die Kinder auf diese Verwandtschaft freuen.
Erfolgt der Umzug zu einer neuen “Liebe”, die die Kinder noch nicht (gut) kennen, wird eher mit Kindern dieser Person (gleich alt, gleiche Interessen, gleiche Lieblingsfarbe, gleiche Lieblingspizza, gleiche Schulklasse, alles gleich) als Möglichkeiten des sozialen Anschlusses argumentiert, mit einem “Neuanfang”, auch für das/die Kinder, die in der neuen Umgebung zur Ruhe kommen, et cetera, bla, bla.
Der Elternteil, der zurückgelassen werden soll, erkennt in aller Regel die Bruch-Strategie, die hier erneut anstelle einer Lösung auftaucht und sträubt sich verständlicherweise gegen den Umzug, da weder das traute Heim noch die neue Liebe besonders vernünftig im Sinne des Kindeswohls erscheinen. Weder die Happy-New-Family mit einer im Grunde unbekannten Retter-Person, noch die Happy-Old-Family mit Menschen, zu denen bis dato keine diplomatischen Beziehungen bestanden.
Gerichte als häufiges Teil des Problems, nicht als Teil der Lösung
Die im vorstehenden Absatz beschriebene Situation ist in der Regel der Augenblick, in dem einer der Elternteile vor Gericht zieht. Entweder der zurückbleibende Elternteil, der die Kontinuität der bisherigen Verhältnisse für seine Kinder bewahren möchte oder der umziehende Elternteil versucht, seine Ziele durchzusetzen.
Die Kinder werden von der umzugseuphorischen Elternperson entsprechend auf “Umzugsfreude” vorprogrammiert, dürfen Möbel und Tapete für Ihre Zimmer aussuchen, ja, sogar bei der Wohnungs- oder Haussuche mitbestimmen, ihnen werden hochwertige Sportgeräte, Haustiere oder Aktivitäten versprochen, die es vermeintlich nur dort geben kann. Und deshalb müsse der Umzug stattfinden, damit das Leben so richtig lebenswert ist. Ein neues Leben, ein besseres Leben für alle, an einem Ort, an dem alles gut sein wird.
Dass dies meist nur ein weiterer Biographiebruch der umziehenden Elternperson ist, der hier hier als Lösungsersatz verkauft wird, fällt in aller Regel niemandem auf.
Die Kindesanhörungen ergeben meist einen vermeintlich stabilen und nachvollziehbaren Kindeswillen, der – wenn sich jemand die Mühe geben würde – eine Art copy and paste der elterlichen Umzugseuphorie darstellt.
Meist gibt sich allerdings niemand die Mühe.
Das Gesagte wird als bare Münze und als Entscheidungsgrundlage hingenommen. Kommen noch unfähige Professionen dazu, die nicht ausreichend in der Lage sind, die Verhaltensstruktur des umzugseuphorishen Elternperson aufzuschlüsseln und die “Lösung” als Fortsetzung des Problemkreislaufs zu erkennen, wird der Umzug abgesegnet.
Stimme den Umzug zu, dann lassen wir dir das gemeinsame Sorgerecht
Versucht der andere Elternteil dagegen zu argumentieren sei es noch so nachvollziehbar, wird ihm häufig der familienrechtliche Kuhandel angeboten, der absurderweise auch vom eigenen Anwalt oder Anwältin befürwortet oder gar angefeuert wird: Dem Umzug zustimmen, anderenfalls könnte man das gemeinsame Sorgerecht verlieren. Ja, erstmal die Situation beruhigen lassen, die andere Elternperson wird durch die Distanz ruhiger, das Kind freut sich auch schon so, einfach nur Zeit dem Ganzen geben, dann wird schon alles werden.
Viele der Elternteile stimmen an dieser Stelle zu. Es klingt nachvollziehbar, man wolle selbst ja kooperieren, sich von der guten Seite zeigen und das Sorgerecht wolle man ja nicht verlieren.
Wunschdenken vs. Wirklichkeit
Was danach in den meisten Fällen passiert, kann in wenigen Punkten zusammengefasst werden:
- Die enorme räumliche Entfernung fördert die weitere emotionale Entfernung zwischen dem zurückgelassenen Elternteil und Kind
- Das erhalten gebliebene Sorgerecht kann von dem zurückgelassenen Elternteil de facto nicht ausgeübt werden – sowohl aufgrund der räumlichen Entfernung, die oft mehrere Hundert Kilometer beträgt oder sogar über die Landesgrenzen hinaus geht als auch wegen der aktiven Fortsetzung der Ausgrenzung dieses Elternteils aus dem Alltag des Kindes z.B. durch Vorenthalten der Informationen.
- Die Kontakte mit dem Kind werden durch “Aktivitäten” am neuen Wohnort blockiert. Sportverein, Gassi mit dem neuen Hund, Kindergeburtstag, Spielverabredung, Oma-Zeit, Ponys auf der Weide besuchen.
- Die Umgänge können leichter torpediert werden und werden es auch, damit das Kind ja nicht außerhalb des Kontrollbereichs möglichst nichts von dem “neuen Leben” berichten kann, das mit hoher Wahrscheinlichkeit nur wenig von dem einst vor Gericht versprühten Glanz aufweisen kann.
- Die langen Fahrten werden als brauchbares Hindernis aufgegriffen – das Kind möge die Fahrten nicht, ihm wird im Auto schlecht, langweilig, es hat plötzlich Angst vor der Autobahn etc. bla, bla. Deshalb können keine Besuche bei zurückgelassenen Elternteil stattfinden – der gesamte Teil der Familie wird damit ausgegrenzt.
- Dem zurückgelassenen Elternteil wird großzügigerweise vorgeschlagen, dass er doch selbst auch umziehen könne. Irgendwo in die Nähe. Oder eben eine zweite Wohnung mieten, mein Gott, wo ist nur das Problem? Wenn dieser Elternteil das Kind lieben würde, würde er das tun. Aber es sei ja seine Wahl. Er solle sich nur nicht wundern, wenn das Kind ihn eines Tages gar nicht mehr sehen will. Selber schuld. Man habe es ihm ja vorgeschlagen.
Fazit und Vorschlag zur Prävention
Der familienrechtliche Kuhhandel geht in Wirklichkeit in den meisten Fällen nicht auf. Zumindest habe ich es in all den Jahren meiner Tätigkeit noch nie erlebt.
Auf dem Papier behalten Sie zwar das Sorgerecht, in der Praxis gleicht es oft blankem Hohn, weil Sie dieses Recht auf Entfernung in keiner Weise ausüben können. Was Ihrerseits als ein Zeichen der Kooperation des Entgegenkommens gemeint war, entpuppt sich als ein Eigentor.
Ich habe in meiner Praxis auch noch nie erlebt, dass dieses Entgegenkommen zu einer nachhaltigen positiven Veränderung auf Seiten des umgezogenen Elternteils geführt hat. Zu dieser erhofften Entspannung. Ein Problem – ein Biographiebruch – das als Lösung eingesetzt wird, kann nicht zur Lösung führen.
Sollten Sie vor Gericht vor eine solche Wahl gestellt werden, überlegen Sie sorgfältig, bevor Sie einem Umzug zustimmen. Wenn Ihr Anwalt Ihnen dazu rät, sich kooperativ zu zeigen, klären Sie ihn/sie auf, dass diese Strategie in der Praxis kaum aufgehen wird. Motivieren Sie ihn/sie, dem Gericht die praktischen Konsequenzen eines solchen Kuhandels unmissverständlich zu verdeutlichen. Fragen Sie die den Umzug befürwortenden Beteiligten (Verfahrensbeistand, Jugendamt) nach Ihren beruflichen Erfahrungswerten. Sollten keine oder kaum welche existieren, ist eine solche blinde Befürwortung kindeswohlgefährdend und stellt die Fachlichkeit der Personen in Frage.
Relativieren Sie den Kindeswillen – ein Kind oder Jugendliche/r kann die Reichweite einer Umzugsentscheidung noch nicht beurteilen – betrifft im Übrigen auch Kinder jenseits der “magischen” 12-Jahre-Grenze.
Sollten Sie eine individuelle Analyse und die Erarbeitung einer für Sie passenden Argumentation benötigen, kontaktieren Sie mich bitte, ich bin gern für Sie da.