Der heutige Beitrag ist ein Leitfaden für Eltern, mit dem sie Fachkräfte zum Handeln motivieren können – und gleichzeitig ein Merkzettel für Fachkräfte zum Thema Handlungsbedarf bei Umgangsverweigerung.
Handlungsbedarf und Bauchgefühl
Liebe Fachkräfte, die ihr mir jetzt hoffentlich zuhört, ich fange mit euch an. Ihr kennt bestimmt den Impuls, der uns Menschen dazu bringt, ein weinendes Kind trösten zu wollen. Ein ängstliches Kind zu ermutigen, ein ablehnendes Kind zur Aufgeschlossenheit zu motivieren. Sie kennen das Gefühl mit Sicherheit, egal, ob sie eigene Kinder haben oder nicht. Und wenn sie es in Bezug auf Kinder nicht kennen (soll’s auch geben…), dann denken sie einfach an einen lieben Freund oder Freundin oder an ein Familienmitglied der/die sich Ihnen anvertraut und unter Tränen über seine/ihre Unsicherheit, Angst oder Verzweiflung erzählt.
Was tun Sie intuitiv? Sie handeln. Sie trösten, nehmen die Person in den Arm, sprechen Mut zu, zeigen neue Perspektiven auf.
Sie handeln, weil sie den Handlungsbedarf erkennen und sich als Freund/Freundin dazu verpflichtet fühlen.
Was die Fachkraft nicht sieht, das gibt es nicht (?)
Deshalb, liebe Fachkräfte, sagen Sie nicht, dass sie keinen Handlungsbedarf sehen, wenn Ihnen von einem Elternteil berichtet wird, dass ein Kind bei der Abholung zum Umgang weint und schreit, obwohl nichts vorgefallen ist.
Sagen Sie nicht, dass sie keinen Handlungsbedarf sehen, wenn Ihnen ein Elternteil berichtet, dass ein Kind Angst vor ihm hat, obwohl vor einer Woche alles normal war.
Sagen Sie nicht, dass sie keinen Handlungsbedarf sehen, wenn ein Elternteil Ihnen erzählt, dass das Kind plötzlich den Umgang verweigert, obwohl es ihn bisher genossen hat.
Dass Sie, liebe Fachkräfte, keinen Handlungsbedarf sehen, bedeutet nicht automatisch, dass es keinen gibt. Schauen Sie deshalb genauer hin, um ihn ggf. zu erkennen. Wechseln Sie die Perspektive. Erinnern Sie sich an Ihre eigene Kindheit, an die Situationen, als sie weinten, ängstlich oder ablehnend waren… Was brachte sie dazu? Worauf wollen Sie mit dem Weinen, der Angst, der Ablehnung hinweisen? Gab es aus Ihrer damaligen kindlichen Sicht ein Bedürfnis nach Handlung durch Erwachsene? Wer von den Erwachsenen hat es gesehen? Wer hat gehandelt? Wie kommt es, dass Sie sich immer noch daran erinnern?
Ach, das ist eine unprofessionelle Herangehensweise, sagen Sie? Möglich. Und gleichzeitig irgendwie angenehm menschlich, zumindest aus meiner Sicht.
Denn ein Kind ist ein Mensch, der Schutz braucht, welcher wiederum nur durch Aufmerksamkeit und Handeln gewährleistet werden kann. Deshalb an dieser Stelle ein kleiner Merkzettel für Sie, liebe Fachkräfte.
Merkzettel Handlungsbedarf:
1. Wenn ein Kind weint und schreit – besteht Handlungsbedarf.
2. Wenn ein Kind Ängste entwickelt, für die es keine wahrnehmbaren oder nachvollziehbaren Gründe gibt – besteht Handlungsbedarf.
3. Wenn ein Kind den Umgang verweigert, an dem es bisher Freude hatte – besteht Handlungsbedarf.
Und es besteht sogar Handlungspflicht – diese haben Sie auf sich genommen, als Sie Ihren Arbeitsvertrag unterzeichnet haben.
Deshalb schauen Sie genau hin und überlegen Sie sorgfältig, was hier passiert. Und dann handeln Sie.
Was tun bei Handlungsbedarf?
Die Handlung besteht allerdings nicht darin, den Kontakt zwischen Elternteil und Kind abbrechen zu lassen, damit das Kind “zur Ruhe” kommt. Die Handlung besteht in der Aufschlüsselung der Dynamik und Unterbrechung der Handlungsmuster und der Perspektive des kindlichen Erlebens.
Wie es gehen soll, fragen Sie? Schauen wir mal. Letzlich steckt der Teufel in Detail. Wenn Sie Unterstützung benötigen, um die Dynamiken und Muster aufzuschlüsseln, bin ich gern für ein Fachgespräch für Sie da.
An die Eltern.
Liebe Eltern, jetzt komme ich zu Ihnen.
Im Grunde können Sie die vorstehenden Zeilen nutzen, um jede beliebige Fachkraft anzusprechen, die der Meinung ist, keinen Handlungsbedarf zu sehen. Denn diese Zeilen sind eine Art Sehhilfe.
Sollten Sie individuelle Unterstützung benötigen, bin ich natürlich auch für Sie sehr gern da und helfe Ihnen beim Formulieren und bei der Vorbereitung auf das Gespräch mit den Fachkräften, ob Jugendamt, Verfahrensbeistand, Gutachter oder Beratungsstelle.