10 Sätze, die Sie im Gespräch mit einem entfremdeten Elternteil vermeiden sollten (und warum).
In diesem Artikel werde ich Ihnen 10 Sätze vorstellen, die Sie sicherlich kennen. Und
zwar unabhängig davon, ob sie selbst ein entfremdeter Elternteil sind
(und bei Sätzen dieser Art nur die Augen rollen respektive die Fäuste
ballen können), oder ob Sie ein Freund, Bekannter, Nachbar eines solchen Elternteils sind und somit jemand, der/die es gut meint.
In diesem Artikel möchte ich Ihnen zum einen ans Herz legen, die nachfolgenden Sätze gar nicht zu verwenden, weil sie dem entfremdeten Elternteilen a) nicht helfen, b) das Gefühl der Hilflosigkeit nur verstärken c) irgendwann nur noch den letzten Nerv rauben. Jeweils inklusive einer knappen Erläuterung.
Ich möchte Ihnen zum anderen einen simplen Impuls geben, was sie stattdessen sagen oder tun können, um den entfremdeten Elternteil und sein Kind oder Kinder wirklich zu unterstützen. Dieser Artikel richtet sich nicht nur an Freunde und Bekannte entfremdeter Eltern, sondern auch an Mitarbeitende der Jugendämter (einige der nachfolgend aufgelisteten Sätze stammen aus dem schier unerschöpflichen Repertoire der zuständigen Fachleute), Verfahrensbeistände, Richter*innen und alle, die mit dem Thema in Berührung in der Vergangenheit kamen, regelmäßig kommen oder künftig kommen werden.
Zunächst möchte ich allerdings kurz schildern, wie ich überhaupt dazu kam, diesen Artikel zu schreiben.
Eltern-Kind-Entfremdung – eine unheimliche Begegnung der sonderbaren Art.
dem Thema Eltern-Kind-Entfremdung kam ich zum ersten Mal vor über zehn Jahren
in Berührung. Ein Kollege, mit dem ich an einem Projekt arbeitete (damals war ich noch keine systemische Therapeutin),
schüttete mir sein Herz aus: Seine Ehe sei seit Jahren “tot”. Die zwei Kinder seien auf jeden Fall beidseitig Wunschkinder gewesen, jedoch mehr “Rettungskinder”, die mit dem Wunsch gezeugt wurden, die Ehe zu kitten. Dass diese
Strategie nicht aufgehen werde, sei eigentlich von vorn herein klar
gewesen. Er liebe seine beiden Kinder dennoch über alles. Von der
Ehefrau, die seit Jahren in ihrer eigenen Welt aus Alkohol und Depressionen verweilen würde, habe er sich
trotz aller Bemühungen nach und nach entfernt.
seiner Frau endgültig zu trennen. Diese habe ihm angekündigt, wenn er sich von ihr trenne, werde sie schon
dafür sorgen, dass er seine Kinder nie wieder sehen werde. Da die Frau Gemahlin sich selbst im Rausch gern verletzte und dabei jegliche Therapien ablehnte, hatte der Kollege Angst, sie würde den Kindern etwas antun.
habe er es den ganzen Mut zusammen genommen, ihr zu sagen, dass es so nicht weiter gehe, seine
Koffer zu packen und ins Hotel zu ziehen. Ergebnis: die Ehefrau habe viel Alkohol zu sich genommen und ihn
alle paar Minuten mit Anrufen terrorisiert, in denen sie auf eine
äußerst dramatische Art schilderte, was er seinen Kindern damit antun
würde. Sein Sohn (damals 9 Jahre alt) würde den ganzen Tag mit
Kopfschmerzen im Bett liegen und seine Tochter (zu dem Zeitpunkt 12)
habe mehrere Wutanfälle bekommen. Und sie selbst konnte den ganzen Tag
nichts essen können. Um sich zu beruhigen, musste sie Alkohol trinken. Es sei seine Schuld. Überhaupt, alles sei seine Schuld.
Das habe er davon. Er solle sich auch nicht wundern, dass die Kinder nie
wieder mit ihm sprechen werden, wenn er eines Tages zurückkomme. Er
mache es nur noch schlimmer, mit jeder Minute, die er fernbleibe. Aber
das sei ja seine Wahl. Achja, und falls er eines Tages zurückkommen, aber sie alle dann nicht mehr zu
Hause antreffen sollte, dann wisse er schon, dass er das nur sich selbst zu
verdanken habe. Er höre dann von ihrem Anwalt, aber von ihr und den
Kindern nie wieder.
Ich fand seine Beschreibung damals maßlos
übertrieben, vor allem was die Ankündigungen, die Wortwahl und das Verhalten der
liebreizenden Frau Gemahlin anbelangte. Mir war klar, sie hatte offenbar einige Probleme. Aber sie sprach unter Alkoholeinfluss und widersprach sich doch
selbst, und das würde schlimmstenfalls jeder Rechtsanwalt und jedes Gericht im Nachhinein sofort erkennen. Einerseits warf sie ihren Ehemann vor, die Kinder würden
unter seiner Abwesenheit leiden, andererseits wollte sie die Kinder dem
Vater skrupellos entziehen und damit quasi seine Dauerabwesenheit
herbeiführen. Das ergab doch überhaupt keinen Sinn.
Dass solche schizophren anmutenden Aussagen eher normal für diesen
bestimmten Schlag Mensch, sprich: Entfremder*innen sind, wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht.
Dass diese Aussagen tatsächlich wahr gemacht werden und dass manche Gerichte, Jugendämter und Verfahrensbeistände dieses Prozedere stillschweigend dulden oder gar durch entsprechende Entscheidungen unterstützen – umso weniger.
Ich
erinnere mich noch, dem Kollegen aus vollster Überzeugung, mit viel Elan und gutem Willen erklärt
zu haben, dass es doch um seine Ehe nicht so schlecht stehen könne,
dass es doch seine Frau verstehen solle, die nun mal (seiner Beschreibung nach zu urteilen) eine schwere
Kindheit und Jugend hatte. Dass es kompetente Beratungsstellen gebe, die
in solchen Fällen Hilfe anbieten würden. Und Familientherapeuten, die sogar
darauf spezialisiert seien. Echte Fachleute eben. Mediatoren, die
speziell bei Konflikten dieser Art helfen. All diese Angebote seien dazu da, um
Menschen zu helfen.
Er sei nicht allein. Er solle seine Ehe nicht
wegwerfen, sondern darum kämpfen.
Und
wenn es wirklich-wirklich trotz aller Bemühungen nicht klappen sollte,
dann gebe es in Deutschland Gesetze, die beiden Eltern selbst nach der
Trennung eine erfüllte Elternschaft zusichern würden. Diese Gesetze seien den
Jugendämtern und Gerichten bekannt und sie seien durch die Launen
einer menopausierenden Furie nicht zu erschüttern.
Retrospektive vs. Realität.
ich an meine Reaktion von damals zurückdenke,
komme ich mir ein wenig wie in einem dilettantisch
geschriebenen, ebenso gespielten und inszenierten Theaterstück vor. Ich kann nur
den Kopf darüber schütteln, wie naiv ich damals war. OK, damals war ich, wie gesagt, noch keine systemische Therapeutin. Dennoch: Aus der heutigen
Perspektive, nach all den Gesprächen mit entfremdeten Elternteilen und
entfremdeten (und mittlerweile erwachsenen) Kindern kann ich kaum noch
glauben, dass ich all den Müll damals wirklich sagte und, mehr noch,
dass ich den auch noch glaubte und den zu allem Überfluss auch noch gut meinte.
Vor einigen Tagen telefonierte ich mit einem Familienmitglied. Wir kamen auf das Thema Eltern-Kind-Entfremdung zu sprechen und ich berichtete über die neuesten Entwicklungen in meinem nächsten Umfeld. Ich wurde seitens des Familienmitgliedes mit einer Welle an Geistesblitzen überschwemmt, von denen jeder zwar vom Herzen und gut gemeint, jedoch völlig unbrauchbar und dadurch nur irritierend war.
Ich habe seinen Monolog irgendwann unterbrochen mit der Bitte, keine weiteren Ratschläge zu erteilen. Ich empfand die Unterhaltung als ermüdend, ich fühlte mich nicht verstanden und war enttäuscht von meinem Familienmitglied, mit dem ich mich bis dato immer gut verstand.
Und dann hatte ich selbst einen Geistesblitz, der mir half, das Verhalten meines Familienmitgliedes zu verstehen: ich erinnerte mich an die Situation von vor zehn Jahren, die ich vorstehend beschrieben habe und ertappte mich bei dem Gedanken, dass meine damalige Reaktion für den Arbeitskollegen genauso irritierend gewesen sein muss, wie die aktuelle Reaktion des Familienmitglieds für mich.
Mir war bis dato zwar klar, dass Menschen, die sich mit entfremdeten Eltern unterhalten und für die das Thema neu oder einfach ungewohnt ist, in der Regel keine gute Vorstellung und kein Gefühl für das echte Ausmaß der Missstände haben.
Aber zum ersten Mal wurde mir klar, dass auch ich einst zu diesen Menschen gehörte, und dass es nur das Leben war, das mich des Besseren belehrte und mir die Chance gab, mich mit dem Thema privat und auch beruflich auseinanderzusetzen.
Das Fremdwort: Entfremdung.
Denn irgendwie kennt es doch jeder, dass man/frau (selbst in einer intakten Beziehung) gelegentlich über den/die andere übelst herzieht und die Kinder es ggf. mitbekommen. Man macht es eben, meine Güte, na und, dann sagt nach einer halben Stunde einer “tut mir leid” und dann ist alles wieder gut.
Aber kaum einer hat die Ahnung, dass solche Hetze insbesondere in Trennungsfamilien bewusst als Instrument eingesetzt werden kann (und wird), um einen Elternteil aus dem Leben eines Kindes auszulöschen und sich selbst damit den Seelenfrieden vorzugaukeln. Kaum jemand weiß es oder kann es sich in voller Dimension vorstellen.
“Das kann doch alles nicht soooo schlimm sein” denkt man sich und gibt Ratschläge, denn es gibt schließlich immer einen Weg, nicht wahr?
Dieser Artikel hat also auch zum Ziel, einen weiteren kleinen Beitrag zur Aufklärung zu leisten. Denn: es ist schlimm. Und zwar so richtig schlimm.
Der Artikel richtet sich nicht nur an Privatpersonen, sondern auch an Fachleute, denen das Phänomen von berufswegen bekannt sein sollte. “Sollte”, denn hier ist die Erfahrung, dass die Tatsache allein, mit dem Begriff “Eltern-Kind-Entfremdung” in (fachlicher) Berührung gekommen zu sein noch lange nicht bedeutet, dass man dessen Ausmaße begreift und zielführend handlungsfähig ist. Vielmehr erlebe ich auch bei zahlreichen Fachleuten, dass das Thema zwar angesprochen, aber anschließend doch irgendwie unter den Teppich gekehrt wird. Diesen Fachleuten fehlt es offenbar an der Resilienz, Auffassungsvermögen und Fachlichkeit, sich mit dem Thema professionell auseinanderzusetzen. Stattdessen wird mit Plattitüden, Glaubenssätzen und Vermeidungsstrategien gearbeitet, um das Faß, in das man einen kurzen Blick geworfen hat, bloß schleunigst wieder zu schließen und so zu tun, als wäre es gar nicht da.
Wo Entfremdung ihre Wurzeln geschlagen hat, gibt es keine liebevolle Seite. Vielleicht gibt es noch Reste davon, aber diese werden konsequent von der Außenwelt abgeschirmt. Häufig steckt ein Selbstschutzmechanismus dahinter (siehe Artikel: “Ich entfremde, also bin ich“), der dazu führt, dass jegliche Appelle an die liebevolle Seite an einem soliden Selbstschutzschild abprallen und einen mit doppelter – und diesmal zerstörerischer – Wucht unmhauen. Angesprochen, wenn überhaupt, fühlt sich dadurch nämlich höchstens die narzisstische Seite, die vom Entfremder*in möglicherweise zwar als Liebe deklariert, ettikettiert und nach Außen verkauft wird, in Wirklichkeit aber unberechenbar in ihrer Bosheit ist. An diese Seite zu appellieren ist gefährlich für alle Beteiligten, insbesondere für das dieser Facette schutzlos ausgelieferte Kind.
3. Waaaaas?
Ok, das ist an sich kein Satz. Eher ein Ausdruck großer, großer Überraschung, untermalt mit dezenter Empörung über die unerwartet ungünstigen Umstände. Übernommen aus der Film- und Serienwelt des englischsprachigen Raums (“Whaaaaat?”), aus diesem Grund oft in einer extrem hoher Stimmlage gesprochen. Bitte-bitte nicht benutzen. Inhaltlich nicht einmal die Luft wert, die für das Aussprechen erforderlich ist.
Tipp: Sich einmal selbst im Spiegel beim Aussprechen beobachten – anschließend lässt man automatisch die Finger davon.
4. Da gibt’s doch diese Kindernotruf-Hotline.
Optional: Beratungshotline XY, Kummerkasten-Telefon oder andere telefonischen Angebote. Bei allem Respekt für die dort arbeitenden Ehrenamtlichen, die den Job in der Regel für Lau und aus lauter Herzensgüte machen: Die
Erfahrung – darunter auch eigene – zeigt, dass sie es dort zwar auch gut meinen, aber einem nicht wirklich weiter helfen können. Sie hören sich die Geschichte an, zeigen ihr Mitgefühl, sprechen ein paar anerkennende, mutmachende Worte (frei nach Merkel: Sie schaffen das!) und empfehlen in der Regel, Gebrauch von den “offiziellen” Optionen zu machen (Jugendamt, Kinderschutzbund, Verfahrensbeistand etc.), also (siehe Punkt 1) all die Optionen, die man schon ausführlich und mehrfach abgedackelt und für gemeinnichtsnützig befunden hat.Nein. Muss er (m/w/d) eben nicht. Kann er nicht und oft: will er auch nicht, weil er zwar den Fall wohlwollend angenommen hat, schnell jedoch von der Wucht des Ganzen umgehauen wurde. Und einen besseren Anwalt kann man sich eben nicht leisten.
Doch selbst wenn: Auch einem Top-Anwalt sind die Hände gebunden, wenn der Verfahrensbeistand gekauft und/oder befangen, die zuständige Jugendamt-Betreuerin eine alte Schulfreundin oder Nachbarin des Entfremders/Entfremderin ist, der Gutachter ein Dilettant respektive im Bewusstsein dessen ist, was von ihm in Wirklichkeit erwartet wird, und das Gericht den Prinzipien aus der alten guten Zeit huldigt, in der schließlich nicht alles schlecht war.
(Siehe dazu: Befangenheit, mangehlafte Gutachten)
6. Gib nicht so viel Energie rein, sonst vergiftest du dir dein gesamtes Leben.
Die Energie gibt man nicht selbst hinein, sondern ver(sch)wendet sie darauf, sich vor dem Gift des anderen Elternteils und dem Gift dessen/deren Vasallen zu schützen.
9. Dann schreib deinem Kind doch Briefe.
Viel Erfolg.
“Es” beruhigt sich nie etwas von selbst. Die Haltung hinter der Entfremdung ist wie eine emotionale Zecke – erstaunlich resistent, ausdauerfähig, hartnäckig. Diese Einstellung überlebt Jahre, Jahrzehnte unter dem Mäntelchen der Ruhe. In Wirklichkeit wartet eine solche emotionale Zeckenhaltung nur darauf, sich wieder mit dem Blut vollzusaugen, um wieder so richtig prall zu werden und ekelerregend zu glänzen.
Die entfremdenden Elternteile werden ihr Verhalten i.d.R. nicht von selbst ändern. Sie werden die Kontakte zum anderen Elternteil auf die eine oder andere Art weiterhin torpedieren. Es sei denn – auch das passiert – irgendein schockartiges Erlebnis ändert ihre Einstellung. Aber auch dann wahrscheinlich nur für den Moment, nicht für immer.
Ich selbst hatte bis jetzt nur einmal Kontakt mit einer Person gehabt, die mich aus freien Stücken anrief mit der Bitte um ein Gespräch, weil sie sich dabei ertappte, das Kind gegen den anderen Elternteil zu manipulieren.
Hut ab vor dieser Person. Selbstverständlich kommen noch andere zahlreiche Faktoren dazu, die ein Kind nach Jahren/Jahrzehnten dazu bewegen können, sich an den einst abgelehnten Elternteil zu wenden. Nicht zuletzt die eigenen negativen Beziehungserfahrungen, die bei einst entfremdeten Kindern häufig nach dem Muster “abweisen und abgewiesen werden” verlaufen. Viele erwachsene Kinder verstehen erst dann die Mechanismen, denen sie selbst als Kinder ausgeliefert waren.
Je nachdem, wie groß der Leidensdruck ist, suchen sie nach Hilfe, können die Vergangenheit aufarbeiten und Frieden mit dem einst abgelehnten Elternteil und damit mit dem Teil seiner eigenen Identität schließen.
“Es” dazu nicht kommen zu lassen ist für mich ein Grund mehr, um vorzubeugen und für eine glückliche Kindheit im Hier und Jetzt zu kämpfen.
Es gibt noch viele andere Sätze, die ich an dieser Stelle auflisten könnte, die nicht nur nicht hilfreich, sondern irritierend sind und ermüdend wirken oder einen schier verzweifeln lassen. Ich habe mich für die runde Zahl 10 entschieden – eine Art 10 Negativgebote.
Mein Impuls:
Hören Sie aufmerksam zu, unterbrechen Sie nicht mit Ratschlägen. Sagen Sie ihm oder ihr anschließend, dass Sie für ihn/sie da sind. Und fragen Sie, wie Sie ihn/sie gezielt unterstützen können.
Fragen Sie nur dann, wenn Sie es auch wirklich so meinen. Der Elternteil hat sich schon selbst genug Gedanken gemacht und wird Ihnen sagen, was Sie für ihn tun können. Sie brauchen sich das nur anzuhören und entscheiden, ob Sie diese Art von Unterstützung leisten wollen und können.
Schreiben Sie einen Kommentar oder kontaktieren Sie mich persönlich!
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