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“In einem Rosenkrieg, in dem mit Entfremdung
gearbeitet wird, sind alle Verlierer, ganz
besonders die Kinder”.
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Eine als Kind durch Eltern-Kind-Entfremdung (Parental Alienation PAS) betroffene Erwachsene im Interview.
Zu Beginn des Jahres wurde von mir ein Interview mit einem entfremdeten Elternteil durchgeführt, dem seine Kooperation zur Falle wurde und der seitdem konsequent und mit stillschweigender Zustimmung der Entscheidungsträger aus dem Leben seines Kindes ausgeschlossen wird. Das Interview finden Sie hier.
Die Pallette an Reaktionen in diversen Social Media war ein representatives Abbild der aktuellen Meinungen zum Thema PAS: Von tiefer Betroffenheit, über Schilderung der eigenen Erfahrungsberichte, bis hin zur wutbürgerlichen Bekundungen, Eltern-Kind-Entfremdung sei (sinngemäß) lediglich eine Hirnflatulenz der in ihrer Ehre verletzten testosterongesteuerten Halbaffen.
Dem Beispiel des Papa Mama Auch e.V. folgend, die in ihrem Zustandsbericht zur Lage im Familienrecht 2020/2021 auch mittlerweile erwachsene Betroffene haben zu Wort kommen lassen (zur Besprechung des Berichts in meinem Blog geht es hier, zum Bericht selbst: hier), beschloss ich, selbst ein ausführliches Interview mit einer mittlerweile erwachsenen Person, die einst ein entfremdetes Kind war, durchzuführen.
Eine der Meldungen auf meinen Aufruf über den Twitter-Account fand ich besonders spannend und diese Person habe ich zu ihrer kindlichen PAS-Erfahrung (ais der Sicht einer Erwachsenen) interviewt.
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In unserem Austausch vor dem Interview gaben Sie an, Sie seien zwar von der Entfremdung betroffen, hätten sich mit dem Thema Entfremdung allerdings noch nicht so richtig auseinandergesetzt. Ein Interview kann jedoch eine Form der Auseinandersetzung mit dem Thema darstellen. Warum haben Sie sich ausgerechnet jetzt dazu entschieden und warum als Interview?
Meine Entscheidung war sehr spontan, muss ich sagen. Ihr Gesuch auf Twitter wurde mir zufällig angezeigt – wahrscheinlich hat das irgendwer geliked, dem ich folge – und ich hab mich sofort angesprochen gefühlt, weil mir ja als Kind so etwas passiert ist. Ich finde es zudem toll, dass das Thema überhaupt von jemandem aufgegriffen wird, jenseits von „Kinder dürfen Vater/Mutter/Großeltern nicht sehen“, denn das reine Vorenthalten des Kindes ohne diesen Prozess der Entfremdung, das gibt es ja auch und hat weniger mit Entfremdung an sich zu tun, denke ich, oder zumindest indirekter, nicht so direkt.
Ich bin von meinen Eltern emotional stark misshandelt worden. Die Themen Entfremdung und emotionale Misshandlung greifen zumindest bei mir quasi eigendynamisch ineinander über, die Misshandlung erwuchs sogar regelrecht aus der Entfremdung, und ich kann mir vorstellen, dass das in einigen anderen Fällen auch so geschieht.
Als Kind und Jugendliche bzw. junge Erwachsene konnte ich niemandem richtig von meinem Leid erzählen, denn wenn ich bspw. Freundinnen von den Konflikten mit meinen Eltern erzählt habe, wurde gesagt: „Ach, das ist bei mir auch so, so etwas sagt mein Vater auch schon mal zu mir.“ Letztlich war es bei denen aber eben NICHT so – weder konnte ich als Kind, Jugendliche und nicht einmal als junge Erwachsene die Tragweite der Misshandlung und Entfremdung erfassen, noch konnte ich diese in meiner Erzählung darstellen. Und so blieb ich eigentlich bis heute mit diesem Thema allein.
Ich musste durch die emotionale Misshandlung früh lernen, mich von meinen Eltern stark emotional abzugrenzen und mir nicht jeden Schuh anzuziehen. Es hat mir sehr geholfen, als junge Frau schließlich irgendwann zu begreifen, dass ich überhaupt misshandelt wurde, dass das einen Namen hat, was mit mir gemacht wurde, und dass das nicht normal ist. Dass das auch nicht normal ist, wie meine Eltern noch heute mit mir umgehen. Mir haben diese Erkenntnisse unglaublich viel gegeben. Entsprechend sehe ich in diesem Interview die spontane Möglichkeit, den Anfang meiner Geschichte, die Entfremdung, für mich ebenfalls zu erkunden und mich damit zu befassen.
Eine Entfremdung lebt von der Induktion bestimmter Inhalte und von dem dadurch ausgelösten Loyalitätskonflikt des Kindes, das sich intuitiv mit dem induzierenden (in der Regel betreuenden) Elternteil verbündet. Welcher Elternteil hat bei Ihnen dieses Bündnis mittels Entfremdung angestrebt?
Hauptsächlich mein Vater mit mir gegenüber meiner Mutter. Meine Mutter hat dieses Bündnis mittels Entfremdung mit meiner Schwester gegenüber meinem Vater angestrebt.
Ich denke allgemein, dass es bei Entfremdung nie ums Kind geht, sondern dass die Kinder hinter den Bedürfnissen der Eltern in einer Trennung/Scheidung zurückfallen, dass sie vergessen werden. So habe ich es zumindest erlebt. Die Bedürfnisse des Kindes spielen bei Entfremdung absolut keine Rolle. Oft werden Kinder und ihre Bedürfnisse in Rosenkriegen mit Entfremdung sogar zur Kriegswaffe instrumentalisiert. Das Kind wird zur lebendigen Waffe, es dem Ex-Partner so richtig zu zeigen.
“Die Bedürfnisse des Kindes spielen bei der Entfremdung
absolut keine Rolle.”
Meine Eltern haben sich Ende der 90ger scheiden lassen und ich bin nach zwei Jahren zu meinem Vater gezogen. Meine Mutter hatte bereits davor seit längerem meine Schwester bevorzugt behandelt. Mein Vater hatte daher „leichtes Spiel“ bei meiner Entfremdung von meiner Mutter. Ich habe in den Konflikten mit meiner Mutter daher schnell nach der Scheidung gedroht: „Dann zieh ich zum Papa!“
Am Ende hat sie mich mehr oder weniger „rausgeworfen“ mit dem Satz: „Dann pack deine Koffer und geh!“ Sie rief noch am gleichen Abend meinen Vater an, dass ich ihre Beziehung zu ihrem neuen Partner, den Vater meiner zu dieser Zeit geborenen Halbschwester zerstören würde, und dass ich jetzt bei ihm leben solle – so erzählte es zumindest mein Vater. Ob das stimmt, weiß ich nicht. Vielleicht hat sie mich auch irgendwie aufgegeben. Vielleicht hat sie den Kampf mit meinem Vater nicht länger ausgehalten. Ich kann es rückblickend nicht sagen.
“Das Kind wird zur lebendigen Waffe,
es dem Ex-Partner so richtig zu zeigen”.
Was passierte dann?
Nach dem Umzug zu meinem Vater war ich nur noch selten bei meiner Mutter – sie holte mich nur selten an den Besuchswochenenden und in den Ferien ab (wenn, eher notgedrungen, weil mein Vater und meine Stiefmutter z.B. allein verreisen wollten und sie darum baten). In den ersten Jahren besuchte ich sie noch öfter, dies wurde dann aber immer weniger. Auch meine Schwester kam nur noch selten zu uns. Angeblich hatte sie immer Ballettstunden. Später, sie war da immer noch ein Grundschulkind, schrieb sie meinem Vater einen Brief, dass sie einfach nicht zu ihm kommen wolle am Wochenende. Sie erzählte mir als Erwachsene, dass meine Mutter dies gemeinsam mit ihrer Ballettlehrerin eingefädelt habe – die Lehrerin habe ihr damals den Brief diktiert und ihr war eingeredet worden, dass sie sich ja nicht trauen würde, dem Papa zu sagen, dass sie nicht mehr zu ihm kommen wolle. Deshalb würde die Lehrerin ihr dabei helfen. Die Dame fungierte beim Jugendamt später als „Zeugin“, dass meine Schwester den Brief freiwillig und allein geschrieben hätte. Bei meiner Schwester ist die Entfremdung von meinem Vater durch meine Mutter daher zumindest für eine Weile lang gelungen. Allerdings gab es hier Jahre später eine Wendung, auf die ich noch zu sprechen komme.
Es heißt, viele entfremdete Kinder empfinden einen Elternteil als gut, den anderen als böse. Wie „böse“ empfanden Sie Ihre Mutter als Kind, sagen wir auf einer Skala von 1 – 10; 1 = gar nicht böse, 10 = vollständig böse?
Das ist eine schwierige Frage. Ich würde nicht sagen, dass ich meine Mutter wirklich jemals als „böse“ empfunden habe. Allerdings hatte ich lange eine durch die Entfremdung bedingte sehr negative Sicht auf sie – die Stärke auf der Skala variierte über die Jahre. Nach dem Umzug zu meinem Vater auf der Skala 1-10 war das ungefähr eine 6-8. Später sank dieses negative Gefühl immer weiter ab. Heute bin ich da bei einer 4 gelandet, würde ich sagen.
Und Ihren Vater?
Meinen Vater habe ich lange gar nicht negativ gesehen, die Entwicklung einer negativen Sicht auf ihn lief quasi andersrum. Heute kann ich meine Mutter verstehen, dass und warum sie sich von ihm getrennt hat. Ich würde daher sagen, ich betrachte ihn heute auf einer Skala von 1-10 ebenfalls ungefähr ebenfalls bei einer 4 als negativ. Es gab in diesem
Krieg meiner Eltern letztlich nur Verlierer, ganz besonders ich und
meine Schwester haben verloren. Wir haben unsere Eltern verloren.
“Es gab in diesem Krieg meiner Eltern letztlich nur Verlierer,
ganz besonders ich und meine Schwester haben verloren.
Wir haben unsere Eltern verloren”.
Wenn Sie das Vorstehende jetzt als Erwachsene reflektieren: Welche wichtigsten Gründe gab es für Ihre damalige Empfindung?
Das ist eine weit umfassende Frage. Für mich war damals, zumindest anfangs in den ersten 1-2 Jahren, mein Vater mein „Retter“, der mich aus der schwierigen Situation mit meiner Mutter befreit hat, die mich meiner Schwester gegenüber benachteiligte. Erst nach und nach kamen Konflikte mit meinem Vater und meiner Stiefmutter auf und meine Sicht auf ihn veränderte sich über die Jahre wie beschrieben. Erster Grund meiner anfänglichen Empfindungen war also: Mein Vater hat mein emotionales Leid bei meiner Mutter damals gesehen. Er hat das auch immer bestärkt: Dass die Mama wirklich große Unterschiede zwischen mir und meiner Schwester machen würde.
Zweiter Grund: Es ist auch gar nicht so, dass mein Vater die Option, zu ihm zu ziehen, vorab immer nur als inhärent positiv dargestellt hätte. Ich kann mich erinnern, dass wir vor meinem Umzug zu ihm uns zusammengesetzt haben und über einen möglichen Umzug gesprochen haben und gemeinsam eine pro und kontra Liste erstellten. Da stand u.a. drauf, oder ich sollte das aufschreiben, genau weiß ich es nicht mehr, dass ich mir im Klaren darüber bin, dass es beim Papa nicht nur positiv und spaßig ist wie in den Ferien und an den Wochenenden, dass da auch ein Alltag gelebt wird, und dass es eben „nicht nur ein Zuckerschlecken“ ist, beim Papa zu wohnen, so war damals der Wortlaut. Den Zettel sollte ich dann wie einen Vertrag unterschreiben.
Wie einen Vertrag?
Ich vermute, dass er diesen Zettel einerseits fürs Jugendamt brauchte und benutzen wollte, um meine Mutter ggf. vor Gericht unter Druck zu setzen, falls es zu einer Sorgerechtsverhandlung kommen sollte. Jahre später fand ich als Jugendliche einen Ordner mit allen Unterlagen rund um die Scheidung, in dem ich das von mir unterschriebene Blatt Papier fand und in dem mein Vater bspw. auch meine für ihn gemalten Pony-Bilder abgeheftet hatte, z.B. ein Pony, das in einem Bonbonpapier eingeschlossen war und mit „Befreie mich“ unterschrieben war. Ich fand auch Email- und Brief-Korrespondenz meiner Eltern miteinander, über Anwälte, mit dem Jugendamt. Der ganze Rosenkrieg in Dokumenten. Meine gemalten Bilder wurden nicht aufgehoben, weil sie einen emotionalen Wert hatten, sondern weil sie einen Streitwert hielten.
“Meine gemalten
Bilder wurden nicht aufgehoben, weil sie einen
emotionalen Wert hatten,
sondern weil sie einen
Streitwert hielten”.
Andererseits sollte ich den genannten Zettel wahrscheinlich so schreiben und unterschreiben, damit auch mir gegenüber „bewiesen“ ist, dass ich quasi „aus freien Stücken“ zu ihm gezogen war und er mir das nicht „eingeredet“ hatte. Damit ich ihm nicht irgendwann vorwerfe, er hätte mich beeinflusst. Er hat das auch genau so mir gegenüber formuliert, als wir zusammensaßen und ich die Sätze und pro und kontra Punkte auf den Zettel schrieb. Es erschien mir als Kind daher überhaupt nicht so, als würde mein Vater mich beeinflussen und als würden meine Empfindungen u.a. durch ihn entstanden sein, denn tatsächlich bläute er mir immer wieder ein: „Die Mama hat versucht, euch Kinder gegen mich aufzuhetzen, ich mache das nicht – die Mama bleibt immer deine Mutter“, obwohl er am laufenden Band negativ über sie sprach mir gegenüber.
Dritter Grund: Es hat die Beziehung zu meinem Vater gestärkt, dass wir „ein gemeinsames Feindbild“ hatten: meine Mutter. Ich wollte meinem Vater gefallen und von ihm gemocht werden – über dieses gemeinsame Feindbild war mir das u.a. möglich. Wenn ich die Mama schlecht rede, findet der Papa mich gut, mag der Papa mich.
Haben Sie noch in Erinnerung, wie die Entfremdung angefangen und wie sie sich entwickelt hat?
Vor ihrer Scheidung haben meine Eltern lange immer wieder laut und heftig miteinander gestritten. Ich habe sie als Kind häufig gehört, wenn ich in meinem Zimmer im Bett lag. Irgendwann eskalierte der Streit schließlich völlig, ich ging daraufhin rüber, weil meine Eltern sich besonders laut anschrien und schrie meinerseits, dass sie aufhören sollten. Mein Vater gab meiner Mutter sogar eine Ohrfeige, diese warf ein Buch auf ihn und lief daraufhin weinend zu unseren Nachbarn. Von dort aus rief sie die Polizei. Danach stand eine Trennung und Scheidung fest. Während meine Mutter bei den Nachbarn war, saß ich mit meinem Vater in seinem Büro auf dem Sofa. Er sagte mir: „Weißt du, die Mama ist krank. Die weiß gar nicht mehr, was sie tut.“ Das ist die erste Situation der Entfremdung, an die ich mich erinnern kann.
Selbstverständlich hat sich die Entfremdung mit fortlaufendem Rosenkrieg gesteigert. Besonders nach meinem Umzug zu meinem Vater hat sich die Entfremdung vonseiten meiner Mutter bei meiner Schwester und vonseiten meines Vaters bei mir intensiviert. Der Rosenkrieg dauerte vom Ende der neunziger Jahre fünf Jahre, dann eine kurze Pause und dann wieder – insgesamt waren es ganze 10 Jahre. Dann zog schließlich auch meine Schwester zu meinem Vater nach einer langen Konfliktphase mit meiner Mutter. Ab da war der Rosenkrieg endlich beendet.
Welche typischen, wiederkehrenden Situationen fallen Ihnen ein, wenn Sie an die Entfremdung denken?
Dass die Mama krank sei, blieb fest im Entfremdungsrepertoire verankert und wurde, wenn das Thema auf sie kam, stets ausführlich besprochen.
Mit zunehmenden Konflikten ab meiner Pubertät, aber auch bedingt durch die schwierige Situation im Rosenkrieg, wurde meine situative Wut und emotionale Not niedergeredet und mit dem immer wiederkehrenden Satz „Du bist genauso krank wie deine Mutter!“ abgewertet. Ich hörte auch mehrfach, ich sei genauso raffgierig wie die Mutter oder bspw. „Du bist genauso wie die Mama, die hat sich auch immer mit allen gestritten“, weil mich in meiner ersten eigenen Wohnung bspw. meine Nachbarn störten. In jeder Situation, in der es mit mir schwierig war, war ich quasi „wie meine Mutter“. Ab diesem Zeitpunkt begannen emotionale Misshandlung und Entfremdung ineinander überzugreifen. Es war ja quasi das Allerschlimmste, so wie die Mama zu sein.
Mein Vater stellte sich selbst zudem durchwegs so dar, als würde er den Kontakt zwischen mir und meiner Mutter fördern wollen, aber die Mama würde sich nicht um den Kontakt zu mir scheren. Die Mama würde mich nicht abholen wollen. Das machte die Mutter natürlich noch schlechter, als sie ohnehin schon in seinen Augen war.
Meine Mutter war außerdem, wie in den 90er Jahren noch verbreitet, Hausfrau und Mutter, hatte ihren Beruf für die Kindererziehung aufgegeben. Dies war für meinen Vater der Inbegriff von Faulheit und Erfolglosigkeit und ein zusätzlicher Grund, sie abzuwerten. Scherzhaft wurde sie abgewertet damit, sie hätte ja „ein Hausfrauendiplom“, insbesondere im Vergleich zu meiner neuen Stiefmutter, die Vollzeit selbstständig tätig war und keine eigenen Kinder hat. Im Vergleich zu ihr schnitt meine Mutter natürlich grundsätzlich negativ ab: Sie würde äußerlich nichts aus sich machen, es wäre immer dreckig bei ihr daheim gewesen (entspricht aus heutiger Sicht nicht der Wahrheit) und sie hätte das Haus nie gelüftet, deshalb hätte es im gemeinsamen Schlafzimmer früher immer komisch gerochen.
“Mein Vater stellte
sich selbst zudem durchwegs so dar, als würde er den Kontakt zwischen
mir und meiner Mutter fördern wollen, aber die Mama würde sich nicht um
den Kontakt zu mir scheren”.
Mein Vater erzählte mir außerdem über die Jahre immer wieder lang und breit, wie meine Mutter gemeinsam mit meinen Großeltern versucht hatte, ihn finanziell und emotional kaputt zu machen. Das ging so weit, dass ich mich erinnere, wie ich mit 11 Jahren anfing zu weinen beim Gedanken, dass die ganzen Möbel in der Wohnung meines Vaters ja so viel Geld gekostet hatten. Ich schrieb ihm daraufhin auch mal einen kleinen Gutschein „über 100 DM von meinem Konto“. Ich weiß noch, dass ich insbesondere als Kind oft sehr bedrückt war, weil die Mama dem Papa so wehgetan hat. Ich wollte den Papa vor der Mama beschützen.
Als meine Mutter sich schließlich von ihrem neuen Partner trennte, mit dem sie nicht verheiratet gewesen war, wollte sie erneut Ehegattenunterhalt von meinem Vater einklagen. Auch dieser Streit wurde auf meinem Rücken ausgetragen: man einigte sich letztlich außergerichtlich, dass mein Vater ihr noch einen Betrag bezahlen musste und sie dann auf jegliche Ansprüche verzichtet unter der Bedingung, dass sie nie für mich Unterhalt zahlen würde müssen. In dieser Phase war das Bild der bösen, raffgierigen, kranken Mama in unserem Haus besonders allgegenwärtig. Mein Vater sprach sogar oft offen am Küchentisch davon, dass er sich wegen meiner Mutter umbringen würde, wenn meine Stiefmutter und ich nicht wären und er keine Verantwortung tragen würde.
Welche Auswirkung hatte die Indoktrinierung auf Ihre Beziehung zu Ihrer Mutter – wie ging Ihre Geschichte weiter?
Ich hatte in den Akutphasen des Rosenkriegs immer wieder ein sehr negatives Bild meiner Mutter, da sie meinem Vater laut seiner Aussage offenbar sehr schadete. Für mich stand deshalb damals auch als Jugendliche fest: Ich wollte nie Hausfrau sein, ich würde Karriere machen wollen und „nicht so schlecht und faul wie die Mama sein.“ Auch die Konflikte meiner Mutter mit meiner Schwester, woraufhin sie zu uns zog, schienen meine negative Sicht zu bestätigen, ebenfalls die Tatsache, dass meine Mutter mich finanziell (auch später im Studium) nie unterstützte.
Allerdings wurde meine negative Sicht auf meine Mutter dennoch mit den Jahren immer weniger, während die negative Sicht auf meinen Vater wuchs. Insbesondere weil er ganz offensichtlich seine negativen Gefühle, die er gegenüber meiner Mutter hatte, immer dann, wenn es schwierig war, auf mich projizierte. Das war mir als Jugendliche so direkt nicht bewusst, allerdings empfand ich die „Du bist genauso krank wie deine Mutter“-Situationen immer als sehr ungerecht. Dieser Satz traf mich sehr, denn „so wie die Mama zu sein“ war ja quasi das Furchtbarste überhaupt, schlechter konnte man für meinen Vater gar nicht mehr sein.
Zumal diese Situationen sehr stark eskalierten bis hin zu, dass ich, wie für Pubertiere doch recht normal, meine Zimmertür zuknallte aus Wut und mein Vater androhte, er würde den Hausarzt anrufen, weil ich in die Psychiatrie gehöre, so krank sei ich. Eben so krank wie meine Mutter.
Rückblickend hatte er sich alles wahrscheinlich etwas leichter vorgestellt mit mir und ich fing an zu stören; etwa ab dem 13. bis 14. Lebensjahr, würde ich sagen. Fortan machte ich immer öfter „die Familie kaputt“ (natürlich war ich dann grundsätzlich „so, wie deine Mutter“) und sowieso war ich faul („du sitzt immer nur auf meinem fetten Arsch rum“), dreckig („nie duscht du dich!“) und man müsste sich für mich schämen. Irgendwann war quasi fast alles, was ich machte, nur noch schlecht. Auch zwischen meiner Stiefmutter und mir gab es viele Auseinandersetzungen. Urlaube wurden ohne mich gemacht. Weder meine Mutter, noch mein Vater nahmen mich mit in den Urlaub. Bereits mit 15 war ich allein zuhause, als meine Eltern im Urlaub waren.
Nach einem Umzug wurde ich zudem in der Schule gemobbt – wollte mein Vater mir anfangs helfen und bat um ein Gespräch mit dem Direktor, hieß es bald, das wäre einfach nur ein weiterer Beweis dafür, wie schlecht ich mich verhalten würde („kein Wunder, dass dich in der Schule auch keiner mag“). Ab dem 14. Lebensjahr spätestens saß ich sehr einsam mit mir allein fast jeden Nachmittag nur vor dem Fernseher und PC, soziale Kontakte in Form von Freunden hatte ich nur wenige. Wir wohnten sehr ländlich und ich war angewiesen, dass mich jemand zu den Freunden fuhr und abholte – manchmal hat mein Vater das gemacht, es war aber immer relativ aufwendig. In der Schule wurde ich abgewertet, daheim wurde ich abgewertet. Es ging mir sehr schlecht.
Hatten Sie da noch Kontakt zu Ihrer Mutter?
In dieser Zeit war ich selten, aber doch immer mal wieder bei meiner Mutter. Tatsächlich erzählte ich ihr zuerst von dem Mobbing, nicht meinen Vater. Und neben Konflikten, die auftraten, gab es auch offene Gespräche, wie sie die Scheidung erlebt hatte und sie äußerte mehrfach, dass sie mich vermisste. Ich glaube ihr das rückblickend und kann sie heute verstehen, warum sie sich von meinem Vater scheiden lassen wollte, ich finde diesen Schritt von ihr rückblickend richtig. Dennoch muss ich sagen, dass auch sie sich nicht gut verhalten hat in der Beziehung zu mir. Es ist nicht normal, dass eine Mutter sich nicht mehr um ihr Kind kümmert (insbesondere die finanzielle Vernachlässigung – ob sie mich wirklich nicht abholen wollte oder ob mein Vater dies verhindert hat, weiß ich bis heute nicht, da ich nicht weiß, wem ich glauben kann). Es ist auch nicht normal, wie sehr sie früher meine Schwester mir gegenüber bevorzugt hatte und mich abwertete. Es ist nicht normal, dass sie mir durch Entfremdung meiner Schwester gegenüber meinem Vater den Kontakt zu meiner Schwester solange erschwert hat.
Vielleicht konnte sie einfach nicht mehr, ich weiß es nicht – letztlich fielen, wie anfangs bereits gesagt, meine Bedürfnisse als Kind für beide Elternteile komplett in den Schatten. Es ging eigentlich grundsätzlich um meine Eltern als Menschen und um ihre Bedürfnisse, nicht um mich.
Ich habe insbesondere als junge Erwachsene daher öfter versucht, nachträglich eine Mutter-Tochter-Beziehung mit meiner Mutter aufzubauen, mit Abstand zu den Geschehnissen nach der Scheidung. Dies schlug allerdings immer wieder fehl – entweder meldete sich meine Mutter plötzlich nicht mehr bei mir oder ich wurde von ihr abgewertet (meist hintenrum, ich erfuhr es von meiner Schwester). Auch versuchte offene Gespräche mit meinem Vater schlugen in dieser Zeit vermehrt fehl – jeglicher Kritik gegenüber war er komplett immun. Mehrfach habe ich als Jugendliche und junge Erwachsene deshalb auch versucht, eine Familientherapie zu organisieren. Diese scheiterte zuletzt immer wieder daran, dass mein Vater sich keine Zeit mehr dafür nehmen wollte und berufliche Gründe vorschob.
Die „Du bist so krank wie deine Mutter“-Geschichte kulminierte im Zwang, dass ich vonseiten meines Vaters einen Psychologen aufsuchen musste, sonst würde er mich von zuhause rauswerfen und ich könnte sehen, wo ich bleibe. Damals war ich 18 Jahre alt. Am Ende wurde ich mit 21 Jahren mehr oder weniger tatsächlich rausgeworfen – ich musste mir eine eigene Wohnung suchen. Das war letztlich trotzdem gut – über mehrere Jahre kam ich nach dem Auszug in meiner eigenen Wohnung langsam zur Ruhe.
Wann kam Ihnen zum ersten Mal in den Sinn, dass das Verhalten der Eltern möglicherweise eigenartig ist? Schließlich schilderten Ihnen Ihre Klassenkameradinnen und Freunde immer wieder, dass es bei ihnen nicht großartig anders sei?
Tatsächlich habe ich mich als Jugendliche und Heranwachsende nie getraut, mir Hilfe zu holen, weil ich durch die schweren Erfahrungen in meiner Jugendzeit, in der ich wirklich von allen Seiten als schlecht betrachtet wurde, Angst hatte, dass andere Menschen auch einfach nur sagen würden, dass ich eben faul, krank, dreckig und schlimm sei. Dass ich mich wirklich für mich selbst schämen müsste. Deshalb habe ich die Konflikte in den zwei oder drei von mir initiierten Familientherapien nur zum Teil angesprochen und die Tragweite der Geschehnisse wurde den Therapeut*innen jeweils nicht offenkundig. Ebenfalls bei dem Therapeuten, den ich als Teenager vonseiten meines Vaters besuchen musste, besprach ich nichts in dieser Richtung, weil ich mich zu sehr schämte und Angst hatte, er würde meinem Vater Recht geben. Ich wusste zwar insgeheim, dass meine Eltern nicht normal mit mir umgingen und dass meine Probleme mit ihnen schwerwiegender waren als die Konflikte, die meine Freundinnen mit ihren Eltern schilderten, wenn ich davon erzählte und „Ach, das ist bei uns auch so“ als Antwort erhielt (siehe oben). Konkret festmachen und begründen konnte ich dies damals aber nicht. Und sicher war ich mir ebenfalls nicht.
Erst später, etwa ab dem 25. Lebensjahr, nachdem ich durch den Auszug zur Ruhe gekommen war, merkte ich im Vergleich mit Freunden und Bekannten deutlich, wie anders als andere Eltern sich als meine Eltern verhielten. Mit den Jahren und bis heute wurde mir insbesondere vermehrt bewusst, dass ich misshandelt und emotional vernachlässigt wurde, dass meine Bedürfnisse im Rosenkrieg meiner Eltern untergingen und z.T. sogar instrumentalisiert wurden. Dass ich am Ende eigentlich alle Seiten nur noch gestört habe und meine Bedürfnisse bis heute völlig egal sind.
“Mit den Jahren und
bis heute wurde mir […] bewusst, dass ich misshandelt
und emotional vernachlässigt wurde […]“
Das habe ich unter anderem auch deshalb erkennen können, weil das Thema „emotionale Misshandlung“ und „Entfremdung“ in der medialen Öffentlichkeit stärker diskutiert wurde. Für mich war diese Erkenntnis eine Erleichterung. Heute weiß ich, dass ich nicht wirklich faul, krank, dreckig und schlimm war, sondern ganz im Gegenteil in großer Not war als Kind und Jugendliche.
Was haben Sie dann unternommen und wie ging es weiter?
Durch die ewigen Pathologisierungen vonseiten meines Vaters („Du bist genauso krank wie deine Mutter“ und „Du gehörst in die Psychiatrie, so krank bist du“) hatte ich trotz meiner Erkenntnis lange große Hemmungen, mir psychologische Hilfe zu suchen. Zu groß war meine Angst, dass mir eine schwere psychische Erkrankung diagnostiziert würde, dass ich also wirklich „total krank“ bin, „so krank wie die Mama“. Den Schritt, mir psychologische Hilfe zu suchen aufgrund meiner Vergangenheit, bin ich erst im Sommer letzten Jahres gegangen.
Ich habe zudem nach meiner Erkenntnis öfter versucht, das Thema mit meinem Vater und meiner Mutter zu besprechen, allerdings war dies nie von Erfolg gekrönt und ich denke nicht, dass meine Eltern jemals irgendeine Form von Fehlverhalten einsehen würden. Sie haben sich auch nie bei mir entschuldigt in Konflikten – dies musste immer ich tun. Ich habe daher letztlich den Wunsch auf Eis gelegt, dass meine Eltern meine Bedürfnisse sehen.
Ich fühle mich nicht wie das Kind meiner Eltern – im Gegenteil habe ich im Gespräch oft das Gefühl, dass ich selbst mit zwei Kindern spreche. Bei meinem Vater wird dies in Konflikten offenkundig, in denen er sich verhält wie ein trotziger 14-Jähriger. Bei meiner Mutter wird es offenkundig, wenn sie selbst sich mit emotionalen Nöten an mich wendet und ich sie – wie eine Mutter – beruhige und ihr gut zurede. Selten sind die Momente, dass meine Eltern für mich wirklich Eltern sind. Meist ist es bspw. mit Abwertung und Vorwürfen verbunden, wenn ich mich in einer Problemlage an meinen Vater wende. Da muss ich dann grundsätzlich selbst an der Problemlage schuld sein aufgrund meiner „Schlechtigkeit“. Meine Mutter ist für mich emotional meistens nicht greifbar und ich weiß auch aus der Vergangenheit, dass die kurzen Momente emotionaler Nähe, in der sie auch Trost spenden kann als Mutter, nur von kurzer Dauer sind. Warum das so ist, weiß ich nicht. Ob sie wirklich krank ist bzw. u.a. durch die Ehe und die Entfremdung krank wurde oder ob sie einfach mit meinem Auszug vergessen hat, dass ich ihre Tochter bin, oder ob es eine Kombination aus allen Aspekten ist, weiß ich nicht.
“Selten sind die Momente, dass meine Eltern für mich
wirklich Eltern sind”.
Heute muss ich auch sagen, dass ich meine Mutter als Mutter nicht vermisse. Ich vermisse nicht meine Mutter. Ich vermisse eine Mutter. Ich habe mich damit abgefunden, dass ich im Prinzip keine Mutter habe, allerdings macht es mich immer noch ab und zu traurig, muss ich sagen. Insbesondere, wenn ich die Beziehung anderer Menschen in meinem Alter zu ihrer Mutter mitbekomme.
Was hätten Sie sich als Kind gewünscht, um diese zweifelsohne enorm belastende Situation zu beenden?
Ich hätte mir gewünscht, dass Lehrkräfte, Eltern von Freunden und insgesamt die anderen Erwachsenen in meinem Leben sensibilisiert gewesen wären für emotionale Misshandlung und Entfremdung. Es ist nicht so, dass nie jemand mitbekommen hätte, was mit mir gemacht wird – z.B. war die Anwältin meines Vaters im Jahr 2004 fassungslos, dass meine Mutter bei der außergerichtlichen Einigung verlangte, nie etwas für mich zahlen zu müssen als Bedingung dafür, ihre finanziellen Ansprüche gegenüber meinem Vater aufzugeben. Dass meine Bedürfnisse überhaupt keine Rolle mehr spielten in dieser ganzen Geschichte, kam ihr dabei aber nicht in den Sinn.
Ich hätte mir gewünscht, dass jemand von außen mein Leid und mich sieht und etwaige Schritte zur Hilfe einleitet.
“Ich hätte mir gewünscht, dass jemand von außen mein Leid
und mich sieht und etwaige Schritte zur Hilfe einleitet”.
Was wäre aus Ihrer heutigen Sicht als Erwachsene damals wirklich hilfreich gewesen?
Wenn meine Eltern in ihrem Selbstverständnis tatsächlich meine Eltern geblieben wären und meine Bedürfnisse nicht über ihre eigenen Bedürfnisse im Rosenkrieg vergessen hätten. Eine bewusstere Elternschaft, sozusagen. Denn in einem Rosenkrieg, in dem mit Entfremdung gearbeitet wird, sind alle nur Verlierer, ganz besonders die Kinder. Ich kann mir vorstellen, dass diese Kriege mit Entfremdung nicht selten dynamisch in Misshandlung übergehen, wie es bei mir geschah.
Ein Ausblick in die Zukunft?
Ich glaube nicht, dass jemals „alles wieder gut“ sein wird. Ich habe aber inzwischen einen guten Umgang damit gefunden und kann mich abgrenzen.
Ich hoffe und wünsche mir, dass ich es, wenn ich Kinder habe, anders machen kann. Für mich ist zum heutigen Zeitpunkt völlig undenkbar, meine eigenen Bedürfnisse über die Bedürfnisse meines Kindes zu stellen, mein Kind abzuwerten und es gegen meinen Partner zu instrumentalisieren.
Danke für das Gespräch.
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