Reisende zwischen den Welten.
Übergänge sind ein normaler Bestandteil eines durchschnittlichen und von gesunden Veränderungen geprägten Lebens. Hin und wieder eine Veränderung – das ist doch das Salz des Lebens!
Oder so ähnlich.
Viele Trennungskinder bewegen sich regelmäßig zwischen zwei Welten, zwei elterlichen Strukturen:
dem mütterlichen und dem väterlichen Umfeld. Für Trennungskinder also kann das Leben hin und wieder ganz schön versalzen schmecken. Weil die Übergänge eben so häufig vorkommen. Und kaum hat man sich auf eine Veränderung eingestellt, schon geht es wieder zurück – wo es zwar auch schön war und ist, aber wo eben wieder eine Umstellung erforderlich ist. Und die kostet so viel Kraft, weil Mama und Papa eben nicht mehr miteinander auskommen.
Ja, es kostet jedes Mal Kraft – nicht nur die Kinder, übrigens, sondern auch ihre Eltern, Stiefeltern, Großeltern, Geschwister. Ein Kraftakt, der aufgrund von ungünstigen Trennungskonstellationen zu einer wahren Herkulesaufgabe werden kann.
So, dass man eben irgendwann vielleicht sogar eine Angst vor diesem Kraftaufwand entwickelt hat und ihn eben nicht mehr will. Vor allem, wenn man noch klein ist und um einen und in einem ohnehin schon so viele Veränderungen passieren. Oder in der Pubertät, wo man schon genug Veränderungen mitmachen muss, um überhaupt noch dazuzugehören.
Der Übergang vom Elternteil A (Struktur I) zum Elternteil B (Struktur
II) kann und darf zwar, wie jeder andere
Übergang im Leben, von Ängsten und Unsicherheiten begleitet werden – es kommt
lediglich auf die Ausprägung dieser Ängste an und auf den jeweiligen Umgang (der Eltern und somit des Kindes) damit.
Ein
Übergang von Elternteil A zum Elternteil B stellt nämlich nur eine der zahlreichen
Übergangssituationen im Leben eines Menschen dar – könnte man an dieser Stelle sagen. Es handelt sich demzufolge um eine recht normale Situation,
wie sie in einem durchschnittlichen Leben vielfach vorkommt. Hierzu gehören im
Leben eines Kindes beispielsweise biologische Übergangssituationen (z.B. der
Übergang in die Pubertät), logistische Überganssituationen (neuer Wohnort)
soziale Übergangssituationen (neue Schule und Kontakte) und vieles mehr. Doch im Falle von Trennungskindern gibt es einige Unterschiede.
Form und Inhalt.
Auch
wenn Übergänge alles Mögliche beinhalten können, so haben sie alle
grob dieselbe Form und denselben Ablauf: Struktur I ist im Begriff, sich temporär
oder vollständig aufzulösen. Struktur II jedoch bannt sich erst an, ist
allerdings noch nicht physisch präsent und
kann deshalb nur kognitiv, jedoch nicht physisch/real erkundet werden. Das
verunsichert insbesondere kleinere Kinder, die allein aufgrund ihres Alters noch nicht
über die erforderliche Lebenserfahrung verfügen, die eine sichere Haltung der
sich anbahnenden Veränderung gegenüber ermöglicht.
Das vorstehend beschriebene Muster trifft auch auf die Übergabesituationen zu, in
der die Kinder zwischen den elterlichen Strukturen „switchen“. Ein wesentlicher Unterschied ist allerdings, dass eine Veränderung, die normalerweise nur hin und wieder im Leben vorkommt, im Falle von Trennungskindern eher zum Normalfall wird. Immer wieder auf Neues einlassen und anpassen – denn seit dem letzten Umgang sind nun mal x Wochen vergangen und es hat sich in der Zeit wieder etwas verändert. Und keiner hat einen gefragt, man war ja schließlich nicht da, es ist einfach passiert, und nun muss man sich darauf einstellen und sich damit abfinden.
Die Aufgabe beider Eltern besteht deshalb
sowohl während der Übergabe der Kinder als auch in der Zeit vor dem Umgang, die
Kinder in dieser Phase sicher zu begleiten, ihre Ängste abzubauen, Impulse für
eine erfolgreiche Bewältigung des Übergangszeitraums zu geben. Die
Übergabesituation kann dabei auch gezielt von Eltern dazu genutzt werden, um
den Kindern Tools und Verhaltensstrategien zu vermitteln, Übergangssituationen
bewusst zu erleben und zu gestalten. Die Aufgabe der Eltern besteht auch darin,
ihren Kindern Gestaltungsmöglichkeiten aufzuzeigen, um mit dem Übergang fertig
zu werden. Die Möglichkeit, auf eine Situation gestalterisch einzuwirken,
respektive allein die Gewissheit, eine Situation gestalten zu können, statt ihr
nur ausgeliefert zu sein, kann dem Kind bereits einen Großteil der Angst
nehmen.
Wieviel Angst vor der Veränderung (dem Umgang) ist normal?
Eine Übergangssituation ist per definitionem
eine unsichere Schwellensituation, die zwischen zwei genau definierten Strukturen
existiert. Hier zwischen Elternteil A: Struktur I, und Elternteil B: Struktur II. Der Übergang von der
Struktur I in die Struktur II kündigt sich bereits vor seinem Eintritt an (zum Beispiel
durch Mitteilung des betreuenden Elternteils an die Kinder). Je nach Art der Mitteilung und
ihrer gesamtheitlichen Gestaltung (verbale, nonverbale, paraverbale Ebene) kann
bereits diese Ankündigung eine entsprechende Auswirkung auf den Verlauf der
späteren Schwellensituation haben. Sie kann entspannend-fördernd oder anspannend-verunsichernd
wirken.
Insbesondere vom
Loyalitätskonflikt betroffene Kinder benötigen vor und in der
Übergangssituation klare und vor allem eindeutige Signale der jeweiligen
Elternteile. Doppelte Botschaften (Double Bind) können verunsichernd auf Kinder
wirken und den ohnehin bereits vorhandenen Loyalitätskonflikt fördern und ihn in
dem Moment der Übergabe eskalieren lassen, was dazu führen kann, dass das Kind nicht zum Umgangs-Elternteil will und den Umgang/Kontakt verweigert. “Von selbst” – wird dem Phänomen durch den
betreuenden Elternteil häufig hinzugefügt. Man tue doch schon alles, man habe
doch den Umgang angekündigt und mit dem Kind doch gesprochen.
Der Ton macht die Musik.
Das mag alles auch zutreffen.
Der Unterschied jedoch, der den späteren Unterschied
macht, ist nicht die Tatsache, ob der
Umgang/Kontakt kommuniziert wird, sondern wie der
Umgang/Kontakt kommuniziert wird. Wenn ein
Elternteil also verbal mitteilt: „Wie schön, nächstes Wochenende verbringt ihr
mit eurem Papa/eurer Mama“, sich dabei allerdings eines sarkastischen Tons bedient (paraverbale
Ebene) oder dabei nur den Kopf schüttelt (nonverbale Ebene) und vielleicht auch noch direkt
danach schnellen Schrittes den Raum verlässt (ebenso nonverbale Ebene) –
handelt es sich um eine recht typische Doppelbotschaft, in welcher der gesagte
Inhalt (verbale Ebene) nicht mit den übrigen Kommunikationsebenen übereinstimmt.
Ein Erwachsener kann diesen Unterschied beobachten, verstehen und deuten. Kinder dagegen
wissen nur, dass etwas gewaltig nicht stimmt und ein Elternteil gerade sehr unzufrieden
ist.
Konkret können die Kinder durch eine solche (passive oder aktive)
Manipulation noch stärker befürchten, die Liebe des Elternteils A und somit die gesamte Struktur I zu
verlieren wenn sie sich auch nur temporär auf die Struktur II (Elternteil B) einlassen.
Die Befürchtung des Liebesverlustes zieht eine weitere Angst nach sich: die
Angst davor, in die Struktur I nicht mehr zu gleichen Konditionen zurückkehren zu dürfen.
“Das Kind hat Angst und will deshalb nicht!”
Auf die vorstehend beschriebene Weise kann die „Angst“ und/oder das typische „Nichtwollen“ der Kinder entstehen. Wird die Angst nicht konstruktiv thematisiert und angegangen, sondern eher mit Veremeidungsstrategien gefüttert, kann sie schnell zur Vorstufe der Eltern-Kind-Entfremdung (Parental Alienation) werden.
Die von betreuenden Elternteilen insbesondere in Gegenwart der Entscheidungsträger als Totschlagargument benutzte „Angst“ der Kinder vor dem Umgangs-Elternteil
(oder gar Ablehnung dieses Elternteils) ist nach meiner Erfahrung häufig eine einseitige Interpretation des vorsätzlich oder unterbewusst indoktrinierten Verhalten des Kindes.
Lag in der Vergangenheit keine Gewalt vor und war der Kontakt zwischen dem Kind und dem anderen Elternteil harmonisch und gut, fußt das Verhalten der Kinder, das von betreuenden Elternteilen als „Angst“
respektive „Nichwollen“ interpretiert wird (das Kind hat es schließlich genau so gesagt!), häufig im
Loyalitätskonflikt der Kinder.
Und sehr wahrscheinlich auch in der bereits vorstehend erwähnten Unsicherheit, in die Struktur I
nicht mehr zu gleichen Konditionen zurückkehren zu dürfen, wenn man den anderen Elternteil auch lieb hat. Auch kann der Konflikt durch die Vermutung des Kindes/der Kinder verstärkt werden, der zurückgelassene betreuende Elternteil sei unglücklich und einsam, während sie
selbst weg sind und Spaß haben.
In einer perfekten Welt…
Eine optimale Unterstützung erhalten die Kinder in der Schwellensituation, wenn ihnen idealerweise von beiden Eltern auf allen Kommunikationsebenen eindeutig und klar die Gewissheit übermittelt wird, dass die
Schwellensituation eine offene Tür zwischen den zwei elterlichen Strukturen
darstellt und dass die Kinder durch diese Tür immer wieder
in beide Richtungen durchgehen dürfen, ohne, dass für sie oder für einen der Elternteile Nachteile entstehen.
Der Elternteil, der die Kinder gerade an den anderen Elternteil übergibt, kann ferner durch eine souveräne und klare Haltung sowie
ebensolche Kommunikation vermitteln, dass nicht die Kinder, sondern er/sie selbst
für sein/ihr eigenes Glück und Zufriedenheit
und erfülltes Leben zuständig ist.
Damit die Kinder den Umgang wollen und keine “Angst” vor dem anderen Elternteil entwickeln, ist es erforderlich, dass beide Eltern den Kindern klar, eindeutig und altersgerecht vermitteln, dass
das Leben in zwei Strukturen auch zahlreiche Vorteile mit sich bringen und
Kompetenzen ausbilden kann, welche die Kinder in ihrem späteren Leben nutzen
können. Und dass auch die Eltern selbst von dieser Situation profitieren können,
um ihre eigenen Kompetenzen zu stärken.
Für kontraproduktiv und definitiv nicht im Sinne des Kindeswohls dagegen halte ich die häufige Strategie vieler
Beteiligten (ob Elternteile oder manche Berater*innen oder gar Entscheidungsträger*innen), den Kindern die vermeintlich „große Angst“ vor dem Umgang durch bewusste oder unbewusste Vermittlung von
Vermeidungsstrategien nehmen zu wollen.
Eine Vogel-Strauß-Taktik, die, mittel- und
langfristig gesehen (d.h. im Hinblick auf das spätere selbständige Erwachsenenleben des jetzigen Kindes) in zahlreichen Hemmnissen münden kann, die sich negativ auf das gesamte Leben des späteren Erwachsenen auswirken können.
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Lesetipps:
Turner
V.: Rituelle Prozesse und kulturelle Transformationen, 1989
Turner, V.: Das Ritual: Struktur und
Anti-Struktur, 2005
Stierlin, H. Delegation und Familie, 1978
Satir, V.: Selbstwert und
Kommunikation, 2018
Ausführliche Literaturtipps rund um das Thema PAS: Hier