“Ich darf doch den Narzissten bloß nicht verärgern, sonst wird alles nur noch schlimmer!” – diesen Satz höre ich regelmäßig von Vätern und Müttern, mit denen ich zusammenarbeite und mit denen ich die Möglichkeiten und Strategien der Abgrenzung vom manipulativen Verhalten des jeweils anderen Elternteils bespreche.
Ich kenne es übrigens auch aus eigener beruflichen Erfahrung – hin und wieder wird mir das fragwürdige Vergnügen zuteil, mit Menschen zu sprechen, die – sobald ich eine Einschätzung/einen Tipp abgebe, der nicht unbedingt zu 100% das bestätigt, was sich diese Person so vorstellt – in eine (passive oder aktive) Aggressivität übergehen, die der Situation keineswegs angemessen erscheint. An dieser plötzlichen emotionalen Wucht erkenne ich übrigens, dass es kaum an mir und meiner Arbeitsweise liegen dürfte, sondern vielmehr an der möglichen Persönlichkeitsstruktur und der Vorgeschichte meines Gegenübers.
Angenehm ist es nicht, keine Frage. Denn zu dem Repertoire vieler Narzissten gehören oft nicht nur die grenzwertige Wortwahl, sondern schier strafbare Verhaltensweisen wie Drohung, Nötigung, Erpressung – nur um die Person, die gerade unbequem erscheint, unter Druck zu setzen, einzuschüchtern und die eigene vermeintliche Machtposition zu stärken.
Dennoch: dem Satz, dass man Narzissten bloß nicht verärgern sollte, stimme ich definitiv NICHT zu!
Jeder hat das Recht auf meine Meinung!
Es ist für einen selbst nur kontraproduktiv, die Muster der narzisstischen Menschen zu bedienen. Denn die Wahrheit ist: Egal, was Sie tun, Sie werden eine narzisstisch veranlagte Person IMMER verärgern. Einfach, weil diese Person sich über Sie ärgern WILL, diesen Ärger BRAUCHT um sich stark zu fühlen und von der eigenen Problematik und eigenen Anteilen am Konflikt/Situation abzulenken.
Wenn Sie also aus Angst oder des lieben Friedens willen auf die Manipulation des Narzissten eingehen und etwas tun, um diese Person zu befrieden – egal was! – es wird IMMER VERKEHRT SEIN.
Das bedeutet: je mehr Sie sich bemühen, es dem Narzissten recht zu machen, umso wertloser und schlechter fühlen Sie sich in aller Regel angesichts seiner Reaktionen. Sie denken dann auch noch möglicherweise, der Friede kehrt nicht ein, weil Sie nicht in der Lage sind, die Wünsche des Narzissten umzusetzen.
Meist ist es andersrum: Es ist der Narzisst (m/w/d), der alles dafür tut, den Konflikt aufrecht zu erhalten. Weil der Konflikt ihm als eine Strategie zur Erhaltung seiner Machtposition dient.
Ich bin ich. Und ich bin ok!*
Wichtig ist es deshalb, sich von den Manipulationen konsequent abzugrenzen. Und das können Sie, unter anderem, indem Sie die Kraft nicht dafür verwenden, die andere Person friedlich einstimmen zu wollen, sondern indem Sie eher als erstes darauf schauen, welcher eigener Anteil von Ihnen sich von der Einschüchterungstaktik angesprochen und gesteuert fühlt. Oft ist es ein kindlicher Anteil, ein jahrzehntealtes Verhaltensmuster, das wir uns als Kinder angeeignet haben, um die Personen in unserem Umfeld wohlgesonnen uns gegenüber einzustimmen. Brav sein, lieb sein, bloß nicht die Lehrkraft, oder einen Elternteil verärgern, sonst gibt es Ärger und Strafen.
“Du sollst/sollst nicht (beliebiges Verhalten einfügen), sonst (beliebige Drohung/Strafe einfügen) !!!” – so in etwa der Satz, der unseren Impuls prägen kann, sich zu fügen, um das große “SONST…” zu vermeiden und auch nicht das schlechte Gewissen zu haben, “böse” gewesen zu sein.
Nicht lieb.
Nicht liebenswert.
Aus der Narzissmus-Falle in drei Schritten.
1. Schauen Sie ruhig darauf, wo ihre Angst, den anderen Menschen durch ihr “Ungehorsam” zu verärgern, entstanden ist. Zu welcher Zeit? An welchem Ort? Mit welchen Personen war sie konkret verknüpft? Wieviel Kontakt und Einfluss haben diese Personen immer noch auf Sie? Aus welchen Gründen? Welche davon sind auch nur der “Fortsatz” der Vergangenheit?
Verdeutlichen Sie sich, dass Sie aktuell mit einem kindlichen Verhaltensmuster in ihrer erwachsenen Gegenwart reagieren. Das kann einfach nicht gut gehen.
Dies ist der erste Schritt der Abgrenzung.
2. Der zweite Schritt besteht darin, sich zu wehren, falls die narzisstische Person ihre Drohungen verwirklicht. Denn viele Narzissten versuchen es. Oft, weil sie eben die Vorstellung haben, spätestens dann ihr Ziel zu erreichen. Ich wurde zum Beispiel schon mal unter Druck gesetzt, indem mir angedroht wurde, mir schlechte Bewertungen zu schreiben, wenn ich nicht dies oder jenes mache.
Genau in diesem Momenten ist eine weitere Abgrenzung erforderlich, die dadurch entsteht, dass Sie erst einmal überlegen, wie realistisch eine solche Drohung ist und sich eine oder zwei konkrete Möglichkeiten vor Augen führen, was Sie tun können, wenn die Drohung tatsächlich wahr gemacht werden würde. Und allein da gibt es einiges an Möglichkeiten, trotz unseres bei weitem nicht perfekten Rechtssystems, denn glücklicherweise wird z.B. die Internethetze immer ernster genommen und auch geahndet.
3. Dritter Punkt: es ist wichtig, nachhaltige Strukturen aufzubauen, die anstelle der bisherigen Angst eintreten können. Gehen Sie Situationen durch, in denen Sie eine Abgrenzung erfolgreich geschafft haben, souverän, d.h. ohne Provokationen, Rachefeldzügen etc. Nicht zwingend in der Interaktion mit Narzissten, sondern gern in anderen Situationen.
Das sind Ihre Ressourcen, mit denen Sie den Impuls, in die gehorsame Haltung zu gehen, unterdrücken und stattdessen konstruktiv und selbstwirksam handeln können.
Welche Strategien haben Sie bereits parat?
Welche Situationen konnten Sie bewältigen?
Wollen Sie mit der Abgrenzung erst anfangen und wissen noch nicht, womit Sie beginnen sollen?
Ich freue mich auf Ihre Beiträge.
* Virginia Satir, Begründerin der systemischen Familientherapie