Das gerichtliche Gutachten – eine gute Sache?
Ein Gutachten bildet die Grundlage der gerichtlichen Entscheidung in einem Sorgerechtsverfahren (Sorgerechtsstreit). Der Zweck eines Gutachtens ist eine objektive, fachliche Untersuchung und unparteiische Darstellung der Umstände (Quelle: DGuSV), um dem Gericht zu einer Entscheidung zu verhelfen – beispielsweise in einem Sorgerechtsverfahren.
Im Falle eines famliengerichtlichen Gutachtens dient es dazu, den
Gerichtsbeschluss auf das Kindeswohl möglichst optimal auszurichten. So
viel zur Theorie.
Über 50% der Gutachten mangelhaft.
Die Praxis dagegen fällt eher ernüchternd aus.
Eine Studie der FernUniversität Hagen ergab, das über 50% gerichtlicher Gutachten erhebliche Mängel aufwiesen (Quelle: Studie der Uni Hagen).
Nach Aussage des Prof. Dr. Stefan Stürmer vom Institut für Psychologie
sei es ein Lotteriespiel, ob man ein gutes Gutachten bekomme oder ein
schlechtes. Und das sei für einen rechtsstaatlichen Prozess
nicht hinnehmbar (Quelle: NRD.de).
Das
Problem besteht gegenwärtig hauptsächlich darin, dass die Bezeichnung
“Gutachter” nicht geschützt ist. Jeder darf sich deshalb als Gutachter
bezeichnen und als solcher arbeiten (Quelle: anwalt24.de).
Doch auch die Arbeit studierter Psychologen kann mangelhaft ausfallen,
wie mir nicht zuletzt aus zahlreichen Berichten meiner Klienten bekannt
ist. Die Ausbildung und die Sensibiliserung der Fachkräfte scheint häufig unzureichend.
Das Gutachten begutachten.
Lesen
Sie das Gutachten sorgfältig und überprüfen Sie es auf seine
Richtigkeit. Nicht unbedingt im Hinblick auf die vom Gutachter
verwendete Fachsprache, denn diese stellt lediglich die Form dar und
muss nicht zwingend etwas über die inhaltliche Qualität aussagen. Ein
Gutachten kann sprachlich einfach formuliert und trotzdem professionell
sein. Achten Sie deshalb auf die Inhalte.
Als Orientierung können Sie folgende Fragen hinzuziehen:
- Geht der Gutachter ausreichend auf die Anliegen und Bemerkungen ein, die Sie während des Hausbesuchs geäußert haben?
- Unterscheiden
sich die schriftlichen Darstellungen des Gutachters von seinen während des
Hausbesuchs getätigten und Ihnen mitgeteilten Beobachtungen? - Welche Fachliteratur hat der Gutachter gegebenenfalls hinzugezogen respektive benannt?
- Welche Methoden hat er verwendet?
- Gibt es Widersprüche im Gutachten selbst (z.B. widersprüchliche Aussagen auf verschiedenen Seiten)?
- An welchen Stellen scheint der Gutachter parteiisch zu sein?
- Wurde ein im Hinblick auf das Kindeswohl relevanter Sachverhalt (oder mehrere Sachverhalte) weggelassen oder verharmlost?
Die vorstehenden Fragen bilden lediglich eine Orientierungshilfe beim “Begutachten” des Gutachtens.
Als
Faustregel gilt: wenn das Gutachten Ihnen stellenweise oder vollständig
Sorgen im Hinblick auf das Wohl Ihres Kindes macht, stellenweise oder
vollständig unstimmig oder irritierend wirkt oder stellenweise oder
vollständig eine subjektive oder gar parteiische Darstellung des
Gutachters zu sein scheint, ist eine Reaktion angebracht.
“Blitze statt Glühwürmchen”.
Unterstützung beim Verfassen einer Stellungnahme.
Auf
den detaillierten Blick und die sachliche Darstellung der aufgedeckten
Mängel eines Gutachtens kommt es in einer Stellungnahme an. Auch wenn es
schwer fällt, sollte eine Stellungnahme keine persönlichen Meinungen
oder Wertungen enthalten und auch kein persönlicher “Racheakt” am
Gutachter sein, sondern lediglich die Sachebene behandeln und stets nur
das Kindeswohl in den Vordergrund stellen.
Die beanstandeten Abschnitte
oder Details sollten möglichst genau beschrieben, erläutert und
idealerweise mit entsprechender Fachliteratur untermauert werden. Gern
unterbreite Ihnen Vorschläge bezüglich der sachbezogenen schriftlichen
Darstellung Ihrer Beanstandungen.
Denn auch auf die Formulierung
kommt es an – schließlich ist der Unterschied zwischen einem nahezu
richtigen Wort und einem treffenden Wort groß – es ist der Unterschied
zwischen einem Glühwürmchen und einem Blitz (Zitat: Mark Twain, Quelle: SPIEGEL.de).
Kontakt
Bei Gesprächsbedarf oder Fragen erreichen Sie mich unverbindlich, kostenlos und deutschlandweit telefonisch, per WhatsApp oder e-Mail: Kontaktinfos. Gern unterstütze ich Sie auch beim Verfassen einer Stellungnahme.
Lesetipps:
Dettenborn (2014): Kindeswohl und Kindeswille: Psychologische und rechtliche Aspekte.
Lack-Hammersfahr (2019): Psychologische Gutachten im Familienrecht: Handbuch für die rechtliche und psychologische Praxis.
Salewski/Stürmer (2020): Psychologische Gutachten für das Familiengericht: Diagnostische und methodische Standards in der Begutachtungspraxis
Terlinden-Arzt, P. (1998). Psychologische Gutachten für das Familiengericht. Eine empirische Untersuchung über diagnostische Strategien sowie ausgewählte Aspekte des Kindeswohls. Lengerich: Pabst.
In meiner Eigenschaft als systemische Therapeutin unterliege ich der Schweigepflicht. Ich arbeite unabhängig von Ämtern, Behörden und staatlichen Einrichtungen.