Narzisstische Persönlichkeitsstörung und die Eltern-Kind-Entfremdung – Teil 1
Narzisstische Persönlichkeitsstörung oder narzisstische Anteile können nach der Trennung der Eltern die Eltern-Kind-Entfremdung begünstigen.
Doch auch bereits während einer Beziehung kann die Eltern-Kind-Entfremdung durch einen narzisstisch veranlagten Elternteil gefördert und geschickt vorbereitet werden. Wie Sie dies erkennen, was da passiert und warum, erfahren Sie in diesem Teil des Beitrags. Hier veranschauliche ich die Wechselwirkungen und Dynamiken zwischen Narzissmus und Eltern-Kind-Entfremdung.
Im zweiten Teil gehe ich auf die mir häufig gestellte Frage ein, was “man” als Betroffene*r gegen Narzissmus tun kann und wie “man” es den Zuständigen gegenüber thematisieren kann.
Der zweite Teil folgt ab Mitte Oktober 2022. Heute ist der 05.10.2022 – je nachdem, wann Sie diesen Beitrag hier lesen, ist der zweite Teil möglicherweise bereits online.
“Ich: richtig. Du: falsch” – die Hauptbotschaft des Narzissmus.
Kennen Sie diese Scherzschilder mit “Hausregeln”?
“1. Die Mama (Papa/Oma/Opa/Katze/Hund) hat immer Recht.
2. Falls Mama (etc.) kein Recht hat, tritt automatisch Punkt 1 in Kraft”
So in etwa lautet allerdings auch tatsächlich die Hauptbotschaft des Narzissmus in einfachsten Worten zusammengefasst. Was als Scherzartikel gern gekauft wird, ist in vielen Beziehungen und Familien die bittere Realität. Die narzisstische Person hat immer Recht, das Gegenüber ist im Unrecht. Ausnahmslos. Immer. Auch dann, wenn das Gegenteil offensichtlich ist.
Zum Verrücktwerden.
Für die Partnerinnen und Partner narzisstischer Menschen ist es häufig ein Zustand, der irgendwann nicht mehr zu ertragen ist.
Narzisstische Persönlichkeitsstörung, bestimmte narzisstische Anteile oder Verhaltensweisen können bereits während der Beziehung für kontinuierliche Spannungen, Streit und Ausgrenzung eines Partners als Elternteil (ob Mann oder Frau) beitragen.
Eine häufige Folge – oft nach jahrelangem Leiden: Trennung.
The winner takes it all – Kinder bleiben in der Regel beim narzisstischen Elternteil.
Sind Kinder aus einer solchen Beziehung hervorgegangen, leiden sie nicht nur während der Beziehung mit, sondern werden nach der Trennung automatisch zum Kanonenfutter des narzisstischen Elternteils (also, je nachdem, der Mutter oder des Vaters), wenn sie diesem Elternteil nach der Trennung ausgeliefert werden, was nach meiner Erfahrung in 95% der Fälle zutrifft.
In aller Regel erhält ein narzisstischer Elternteil den staatlichen Segen, weil er das Kind nach der Trennung einfach “behält”. Da wird nicht mit dem anderen Partner darüber diskutiert, gesprochen und überlegt, was aktuell für das Kind das Beste sei. Auch unser Familienrechtssystem überlegt da nicht lange. Als wäre es das Normalste der Welt, dass das Kind bei diesem Elternteil, der auch schon während der Beziehung dominanter war, bleiben soll. Spannend dabei: bei diesem Elternteil bleiben in aller Regel auch das Haus (oder die Wohnung), das Auto, die Möbel, die Ersparnisse, das Haustier, ein Großteil des Freundeskreises.
Einfach so.
Als wäre es eine Art natürliche Ordnung, dass die Person, die bereits während der Beziehung die dominierende, aggressivere Rolle hatte, diese nach Ende der Beziehung behält und sogar ausbaut. Diese Person behält fast automatisch das Haus, das Auto, den Hund. Und strebt gleichzeitig an, auch das Kind für sich zu behalten. Und mit “behalten” meine ich auch behalten. Wie das Haus eben.
Und das Auto. Und den Hund.
Und die Gerichte?
Die stellen es häufig gar nicht in Frage. Wer das Kind nach der Trennung behalten hat, hat eine Art “Gewohnheitsrecht”. Dort bleibt das Kind eben. Ist halt das Kontinuitätsprinzip.
Sehr wichtig, nicht wahr?
Gut geplant ist halb gewonnen – wie Narzissten ihre Lebensgrundlagen sichern.
Das Interessante und gleichzeitig Perfide am Vorgehen vieler narzisstischer Elternteile ist, dass die Weichen für die Eltern-Kind Entfremdung häufig bereits in der Beziehung gestellt und damit die weitere Entwicklung quasi indirekt geplant respektive gesichert wird. Zu den eindeutigen und wichtigsten Warnzeichen gehören nach meiner Erfahrung folgende fünf Punkte, die während der Beziehung auftreten:
1.
Das An-Sich-Reißen sämtlicher Aufgaben, die mit der Kinderbetreuung zusammenhängen durch den narzisstischen Elternteil mit der Begründung, dass man es selbst besser, effektiver, kindergerechter, mit mehr Liebe, schneller, geschickter (Zutreffendes auswählen oder selbst einfügen) könne. Mir berichten Elternteile häufig darüber, dass sie z.B. beim Windelwechsel regelrecht zur Seite geschubst wurden, das Baby vom anderen Elternteil ungeduldig an den Füßchen gepackt und die Windel ruckartig unter den Po geschoben, und dabei gefragt, was denn daran so schwer sei, es gehe doch so einfach.
Bereits hier lernen die Babys anhand der Stimmung und der Handlung – auch wenn sie den Inhalt der Worte (zum Glück) noch nicht verstehen – dass der eine Elternteil eben der Bessere, Schnellere, Geschicktere, Verlässlichere ist. Und er setzt sich durch, also muss was dran sein.
Und der andere Elternteil ist eben eine Art Elternteil zweiter Klasse. Weil er die Dinge nicht so gut kann. Und immer abgeschoben wird.
2.
Das oft gönnerhaft und übertrieben feierlich angekündigte Überlassen der Betreuungsaufgaben dem anderen Elternteil (“Heute darf der Papa/Mama mit dir zum Spielplatz – ja, Mensch, ist das nicht toll?”) – allerdings bei andauernder Beobachtung und ggf., scharfer Kritik, die häufig mit erhobener oder angespannter Stimme, herabsetzenden Bemerkungen (“Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht”, “Gott, lass Hirn regnen”, “Ohne mich wärst du aufgeschmissen”), Beleidigungen oder/und rhetorischen Fragen einhergeht (“Was wird das, wenn’s fertig ist?!” “Was ist denn so schwer daran?” “Wie viele Male soll ich es dir noch sagen? “).
Auch hier wird dem Kind auf mehreren Ebenen (Mimik, Gestik, Klang der Stimme, falsches Lächeln) verdeutlicht, dass der eine Elternteil der Bessere, Geschicktere und der andere der Schlechtere sei, weil er ungeschickt und “dumm” ist.
3.
Das Delegieren der Betreuungsaufgaben auf Personen aus dem Familien- oder Freundeskreis, anstelle der Einbindung des anderen Elternteils. Spannenderweise erfolgt diese Übertragung in aller Regel an weibliche Personen aus dem Familien- oder Bekanntenkreis (Oma, Schwester, Nachbarin, beste Freundin, Partnerin des besten Kumpels …), und zwar unabhängig davon, ob der narzisstisch agierende Elternteil Mutter oder Vater des Kindes ist. Auch hier wird dem Kind bereits während der Partnerschaft vermittelt, dass z.B. die Nachbarin vom Erdgeschoss die Betreuung besser meistere, als der eigene Papa oder Mama.
4.
Symbiose mit dem Kind, einer besten Freundschaft unter Kindern ähnelnd, wobei sich der Elternteil auf das kindliche Niveau begibt. Häufig zuerst bemerkbar an der überdurchschnittlich häufigen Verwendung des Personalpronomens “wir” für sich selbst und das Kind (“Wir müssen heute früh schlafen gehen, denn morgen früh haben wir Schule”, “Wir müssen noch Hausaufgaben machen” etc.) und an der Auflösung vieler Grenzen zwischen Elternteil und Kind – auch der Privatsphäre (gemeinsames Baden und Duschen, “Partnerlook”, wobei der Elternteil eher kindlich aussehende Sachen anzieht, z.B. Einhorn-Schlafanzüge oder Spiderman-Mützen).
5.
Vorbereitung der räumlichen Distanz: Der narzisstische Elternteil schläft mit dem Kind im Ehebett, der andere Elternteil auf der Luftmatratze/Couch im Wohnzimmer. Der narzisstische Elternteil und das Kind essen gemeinsam nach der Schule zu Mittag, der andere darf sich das Essen am Abend selbst kochen und allein in der Küche essen. Der narzisstische Elternteil plant den Urlaub für sich und das Kind, der andere Elternteil wird zu kurzfristig informiert und kann keinen Urlaub mehr beantragen. Was den narzisstischen Elternteil im Übrigen oft nicht daran hindert, sich diesen Urlaub vom Partner/Partnerin bezahlen zu lassen.
Mit diesen Techniken – ob einzeln oder gemeinsam verwendet – kann bereits während der Beziehung für eine emotionale Distanz zwischen einem Elternteil und dem Kind sowie für den Aufbau eines Misstrauens zu diesem ausgegrenzten Elternteil gesorgt werden. Wird durch die herablassende Behandlung und gleichzeitige Symbiose mit dem Kind der Leidensdruck innerhalb der Beziehung groß genug, lässt die betroffene Person dies in aller Regel über sich ergehen, in der Hoffnung, dass dadurch Ruhe einkehrt und etwas Entspannung eintreten kann.
Doch die Narzissten nutzen auch dies als Vorteil für sich selbst. Je mehr Handlungsspielraum der narzisstischen Person eingeräumt wird, umso stärker wird der Druck auf den Partner oder Partnerin. Was vom Betroffenen aus als Friedensangebot gedacht ist (“Ich stelle mich des lieben Friedens Willen hinten an”), wird vom Narzissten ausgenutzt, um die eigene Machtposition noch weiter auszubauen und dies auch dem Kind gegenüber zu vermitteln ( “Siehst du? Der Papa/die Mama geht lieber arbeiten statt mit dir Spazieren. Kein Wunder, dass er/sie nicht weißt, wo dein Lieblingsspielplatz ist. Aber ich weiß es, denn ich liebe dich.”).
Irgendwann tritt der Moment ein, in dem die betroffene Person feststellt, dass es nichts mehr gibt, was sie tun, sagen oder auch lassen kann, um die narzisstische Person zu befried(ig)en.
Häufig ist dies der Zeitpunkt, an dem eine Trennung erfolgt. Entweder entscheidet sich die betroffene Person durch diese eigene Erkenntnis dazu (“Es gab, gibt und wird nie etwas geben, was ich richtig tun kann”) oder die narzisstische Person verwendet diese Erkenntnis als Trennungsgrund, allerdings eher als eigenen Narrativ: “Du willst dich einfach nicht ändern!”. Die Reflexion, dass diese “Änderung”, sprich: gleichberechtigte Teilhabe an der Betreuung und am Leben des Kindes doch nur dem inigsten Wunsch der betroffenen Person entspricht und lediglich angesichts der vorstehend aufgelisteten Ausgrenzungsmerkmale des Narzissten nicht möglich ist, erfolgt an dieser Stelle natürlich nicht.
Zusätzlich zu der emotionalen Distanz, die vom Narzissten akribisch aufgebaut wurde, schafft der Narzisst durch die Trennung oder Erzwingung der Trennung auch eine endgültige räumliche Distanz. Die bereits gut vorbereitete emotionale und räumliche Distanz kann nun vollumfänglich ausgespielt werden.
Psychischer Kindesmissbrauch nach der Trennung als Selbsterhaltungsmaßahme für narzisstische Elternteile.
Fassen wir zusammen: ein Partner oder Partnerin wird in einer Beziehung mit einem Narzissten (m/w/d) häufig als Dünger enutzt, mit dem die narzisstische Persönlichkeit des Anderen wunderbar gedeihen kann. Wird dieser Partner irgendwann unbequem, weil er zu viele Fragen stellt oder den Narzissten mit seinen Verhaltensweisen und Aussagen konfrontiert, wird die Verbrauchssintensität erhöht, bis der Partner nicht mehr kann und von selbst geht oder vom Narzissten für unbrauchbar erklärt und “gegangen” wird.
Damit entfällt allerdings eine wichtige Grundlage für die Existenz einer narzisstisch veranlagten Person: jemand, aus dessen Unterdrückung die eigene Stärke generiert wird. Somit würde der narzisstische Elternteil vor einem echten Problem stehen, wäre nicht rechtzeitig für Ersatz gesorgt.
Ein Partner/Partnerin wird in aller Regel erst dann verbannt (oder eine Eskalation herbeigeführt, in welcher der Partner geht), wenn die narzisstische Person sich sicher ist, dass ein Ersatz zur Verfügung steht. Der Ersatz kann eine neue, noch vor der Trennung angebahnte Partnerschaft sein, so dass der Narzisst fließend von einer Beziehung direkt in eine andere rutscht.
Ist keine Partnerschaft in Sicht, ist da auf jeden Fall noch das Kind. Das Kind übernimmt die Aufgabe, seinen narzisstischen Elternteil mit lebenserhaltenden Maßnahmen zu versorgen. Dazu gehören Bewunderung, Folgsamkeit, Gehorsam, Zuspruch, Verehrung, Verfügbarkeit, Mitwirkung.
Sehr praktisch und auch einfach zu erreichen. Denn, seien wir ehrlich: wer bewundert einen mehr als das eigene Kind? Vor allem dann, wenn es schon während der Beziehung seiner Eltern erfahren hat, wer der vermeintlich bessere, geschicktere, schlauere Elternteil ist.
Das Beste daran aus der Sicht eines Narzissten: es dauert unter Umständen noch viele, viele Jahre, bis das Kind beginnt, sich abzulösen oder unbequeme Fragen zu stellen. Im Idealfall, aus der Sicht des Narzissten, niemals, denn wenn den natürlichen Ablösungsmechanismen nicht rechtzeitig ein altersgerechter Raum angeboten wird, verkümmern sie. Ein Kind ist somit eine sichere Investition. Geht der Narzisst konsequent vor, tritt die Ablösung unter Umständen tatsächlich nie ein.
Aus meiner Sicht handelt es sich hierbei um psychischen Kindesmissbrauch mit verheerenden Folgen:
Ich arbeite auch mit Erwachsenen, die als Kinder durch Eltern-Kind-Entfremdung missbraucht worden sind, die bisher älteste von ihnen war 53 Jahre alt, immer noch beim Entfremder im Keller hausend, in einem 8 qm großen Raum, den sie als ihre “eigene Wohnung” bezeichnete. Ein einst entfremdetes Kind und mittlerweile alternder Mensch, dessen Leben – oder eher: Vegetation – zwischen depressiven Episoden, Selbstmordgedanken, Arbeitslosigkeit, Eskapismus (Autorin einer endlosen Sailor-Moon-Fan Fiction) und einmal im Monat Kegeln mit der Spielgruppe des bald 80-jährigen Elternteils pendelt. Eine lebensunfähige Person, deren hoffnungslose Vegetation kaum in Worte zu fassen ist und die vermutlich bis an das Lebensende des Elternteils bei ihm bleiben und für seine Bespaßung sorgen wird.
Ein Ergebnis unserer Familienpolitik, die – das ist mir aus der Geschichte dieser Familie bekannt – diesen Zustand nach der Trennung der Eltern vor 45 Jahren als dem Kindeswohl dienlich abgesegnet hat.
Oder ein 41 jähriger Mann, der es zwar als Erwachsener geschafft hat, sich von dem entfremdenden, narzisstischen Elternteil zu lösen und eine eigene Familie zu gründen, der jedoch das Muster im eigenen Leben wiederholt und nach einer konfliktreichen Beziehung und einer explosiven Trennung selbst im Begriff ist, als Papa entfremdet zu werden. Und das bereits zum dritten Mal durch die mittlerweile dritte Frau. Zu den Kindern aus den früheren zwei Beziehungen habe er mittlerweile keinen Kontakt, weil die “Mamis” es nicht wollen.
Auch ein Ergebnis unserer Familienpolitik, die nicht nur damals bei diesem Papa, sondern auch aktuell bei seinen Kindern “keinen Handlungsbedarf” erkennt.
Ich könnte noch viele Beispiele nennen, die aus meiner Sicht klar belegen: Eltern-Kind-Entfremdung ist ein Verbrechen an den Kindern und den künftigen Erwachsenen. Es ist psychischer Missbrauch, um als Elternteil die eigenen Defizite aufzufüllen und die fehlende Selbstwirksamkeit durch die Macht über das Kind zu kompensieren.
Es ist in meinen Augen eine Straftat.
Durch den gezielten Einsatz des Kindes kann diese Macht auch über den/die Ex-Partner*in auch nach der Trennung weiterhin ausgeübt werden – und damit bleibt eine weitere wichtige Lebensgrundlage einer narzisstischen Persönlichkeit erhalten.
Der neue Papa/die neue Mama ist viel besser – Ausgrenzung mit neuen Partner*innen.
Der etwaige neue Partner oder Partnerin eines Narzissten werden in das missbrauchende System eingebunden und dienen als ein weiterer Dünger für die Happy-Family-Farse des narzisstischen Elternteils.
Nach Außen als “so viel besser” deklariert als der alte Partner/Partnerin, einfach der perfekte Ersatzpapa/Ersatzmama, ein Herzensmensch, Lieblingsmensch, endlich ein Seelenverwandter – und all das übliche Blabla.
Bis der Alltag einkehrt, die vor der Öffentlichkeit geheim gehaltenen Konflikte beginnen zu eskalieren und der Narzissmus schlägt durch. In dieser Phase ist tragischerweise häufig ein weiteres Kind unterwegs oder berets da. Und dann grüßt täglich das Murmeltier: Der einstige Seelenmensch wird wieder verteufelt, das neue Kind als Futter einverleibt, die Phasen der Ausgrenzung setzen ein, der einstige Seelenmensch wird entsorgt und dann geht es für den Narzissten nicht selten in die dritte Runde. Ein neuer “Seelenmensch” taucht am horizont auf. So viel besser, als der Alte…
Im Schnitt im 4 Jahres-Takt. Same procedure as every 4 years, James.
Warum entfremdete Kinder es nicht schaffen, “selbständig zu denken”.
Oft werde ich von betroffenen Eltern gefragt, warum ihre Kinder es nicht schaffen, das Verhalten der Entfremder zu bemerken und sich davon zu distanzieren. Es liege doch so offensichtlich auf der Hand und wie kommt dass die Kinder es nicht schaffen, einem solchen Elternteil Paroli zu bieten. Eine klare Ansage zu machen: Mensch, Mama oder Papa, hör auf mit dem Mist, ich liebe den oder die andere auch, lass mich bloß in Ruhe mit deiner Paranoia, kümmere dich um deine eigenen Baustellen.
Einfacher gesagt als getan.
Wenn Sie selbst in einer solchen Beziehung als Erwachsener steckten und es geschafft haben, diesen Artikel bis hierher zu lesen, obwohl er vermutlich voller Trigger steckt, dann haben Sie die schwierige Zeit jetzt sehr präsent in Erinnerung und sicherlich eine grobe Vorstellung davon, wie schwierig es für ein Kind sein muss, sich aus dem klebrigen Netz des Narzissmus zu befreien. Um einiges schwerer, als es für Sie war.
Wir bemühen uns als Partner, es den Narzissten recht zu machen. Weil wir doch selbst gute Menschen sind und es bleiben und beweisen wollen. Und geliebt wollen wir werden. Weil wir doch gut sind und Liebe verdienen.
Und genauso geht es unseren Kindern. Hinzu kommt allerdings noch ein entscheidender Faktor, dass der Elternteil für das Kind nicht nur eine Person ist, die das Kind liebt. Dieser Elternteil bildet die Hälfte der Identität des Kindes. Sich gegen diese Tatsache aufzulehnen, zwischen Bindung und Abhängigkeit zu differenzieren, sich darin eine Autonomie zu erarbeiten, ist eine Aufgabe, die für ein Kind, das in dieser Struktur aufwächst, kaum machbar ist.
So entwickeln die meisten Kinder an dieser Stelle einen Loyalitätskonflikt, lehnen den ausgegrenzten Elternteil vollständig ab, (so wie von dem narzisstischen Elternteil vorbereitet) und zerstören sich ab diesem Zeitpunkt selbst – im Hier und Jetzt und in der Zukunft, nur um den Elternteilen, auf die sie angewiesen sind, bloß zu beweisen, dass sie ein guter Junge sind, ein liebes Mädchen.
Aber warum ausgerechnet dem narzisstischen Elternteil? – werde ich auch gefragt. Warum können es die Kinder nicht dem Elternteil beweisen, der ausgegrenzt wurde?
Weil der Entfremder es so vorbereitet hat und dem Kind induziert hat, dass es bei ihm besser aufgehoben, sicher und geborgen ist. Es ist ja der andere, der gegangen ist. Und als er noch da war, da hat er sich ohnehin nicht gekümmert, war er der Unfähigere, der oft nicht wusste, wo der Lieblingsspielplatz ist oder welche Jacke bei welchem Wetter anzuziehen ist. Er hat nie mit uns gegessen, ist nie mit uns in den Urlaub gefahren, und nicht einmal mit uns im Bett schlafen wollte er. Er interessiert sich eben nicht für dich, ich war es, der/die dich allein versorgt hat, weil ich dich mehr liebe – so die Botschaft des Narzissten.
Dass all das kein eigener Wunsch dieses Elternteils sondern die Folge der aktiven Ausgrenzung war, wird natürlich verschwiegen.
Das Kind denkt, der Andere ist böse, interessiert sich nicht, liebt nicht. So schließt sich der Teufelskreis der narzisstischen Missbrauchs.
Bei Verdacht auf narzisstische Persönlichkeitsstörung: Erziehungsfähigkeit prüfen!
Wieder mal zusammengefasst: Eltern-Kind-Entfremdung gedeiht sehr oft auf narzisstischen Persönlichkeitsmerkmalen eines Elternteils und kann bei Kindern lebenslange psychische Schäden verursachen, wenn das Kind diesem Elternteil ausgeliefert ist.
Deshalb ein Appell an die Fachkräfte unter Ihnen: bei Verdacht (selbst dem geringsten!) auf narzisstische Persönlichkeitsstörung halte ich es für dringend erforderlich, die Erziehungsfähigkeit dieses Elternteils von einschlägig ausgebildeten psychologischen Fachkräften prüfen zu lassen.
Sie laufen dabei keine Gefahr eines Generalverdachts: Ein nicht narzisstischer Elternteil wird kooperieren und Verständnis haben.
Ein Narzisst wird zwar scheinbar kooperieren, doch dann torpedieren und Ausreden finden, Konfrontationen vermeiden. Daran erkennen Sie unter anderem eine solche Person.
Haben Sie als Richter, als Verfahrensbeiständin, als Jugendamtmitarbeiter, als Anwältin den Mut, dies als Arbeitshypothese anzunehmen, offen zu thematisieren und damit zu arbeiten.
Sie können damit sehr viel Leid abwenden. Das schlimmstenfals jahrzehntelange Leid der Kinder, das Leid des verstoßenen Elternteils und seines Teils der Familie (Oma, Opa, Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen) und das Leid des Narzissten selbst. Ja, richtig. Denn Narzissmus entsteht nicht einfach so, sondern oft auf Grundlage der eigenen konfliktreichen Familiengeschichte. Auch diese Menschen leiden oft unbemerkt ein Leben lang – und ziehen andere mit in den Abgrund.
~
An dieser Stelle beende ich den ersten Teil des Beitrags.
Im zweiten Teil werde ich auf die mir häufig gestellte Frage eingehen, was “man” als betroffener Elternteil selbst gegen Narzissmus des Partners/der Partnerin tun kann und wie man es den Zuständigen gegenüber thematisieren kann.
Wie bereits gesagt, heute ist der 03.10.2022 – je nachdem, wann Sie diesen Beitrag hier lesen/hören, ist der zweite Teil möglicherweise bereits online.
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