Viele von Ihnen werden es kennen: Ihr Kind, das Sie gerade am Wochenende besucht, wird plötzlich schweigsam und traurig, gerade dann, wenn es am schönsten ist. Dann irgendwann ein leises, gebetsmühlenartig wiederholtes Rufen nach dem absäwesenden Elternteil: “Maamiii…” oder “Paaapiii”, ganz leise, immer nasaler, heiser, mit gesenktem Blick. Ein Tränchen kullert.
Ich war bereits mehrmals bei einer solchen Situation dabei, da ich im nächsten Familienkreis eine betroffene Person begleite. Und zusätzlich habe ich über dieses Phänomen bereits mit unzähligen betroffenen Eltern gesprochen.
Frust statt Freude.
Weiter geht es in etwa so: Auf die Frage hin, was denn los sei, erklärt das Kind, es würde die Mami/den Papi vermissen. An sich kein Ding. Verständlich. Hier ist das Telefon, ruf an, bitte, ich wähle sogar die Nummer für dich.
Sonderbar wird es dann, wenn das Angebot des Telefonats vom Kind nicht mit der zu erwartender Freude angenommen wird (Ich vermisse Mama/Papa und freue mich deshalb, jetzt mit ihr/ihm zu sprechen), sondern in noch mehr Traurigkeit und Tränen übergeht.
Verständlich wird es allerdings spätestens dann, wenn das Kind über das Telefonat berichtet oder wenn es den Raum nicht verlässt und das Telefon laut genug eingestellt ist, um nolens volens mitzuhören:
Die ersehnte Mami oder Papi am anderen Ende nehmen das Telefonat mit einer Stimmung an, die jeder Beerdigung alle Ehre machen würde. Es wird (selbst-)bemitleidet, geseufzt, geheult, erzählt, wie sehr man das Kind vermisse, wie leer das Haus/die Wohnung sei, ja, sogar der Hamster hat aufgehört zu fressen, seit das Kind weg ist. Und Mami/Papi selbst können nicht schlafen, weil ihnen der Duft des Kindes fehle. Gestern Abend hat sie/er sich mit dem Foto des Kindes in den Schlaf geweint. Heute sei sie/er aber tapfer. Das Kind soll für sie/ihn beten (ja, wirklich Originaltext!), weil sie/er sich einsam und unglücklich fühlt. Aber es sind ja nur 2 Tage. Das Kind müsse jetzt tapfer sein. Die Elternperson sei es schließlich auch. Man müsse durchhalten. Und dann sei man bald wieder vereint und müsse sich ganze 2 Wochen nicht mehr trennen.
Verantwortungsgefühl + schlechtes Gewissen = Loyalitätskonflikt
Ganz ehrlich, selbst als eine relativ abgebrühte Erwachsene hätte ich auf diesen Bullshit keinen Bock und würde vermutlich auch in Tränen ausbrechen, wenn ich mit einer solchen Person telefonieren müsste. Vor allem dann, wenn ich es aufgrund meines schlechten Gewissens müsste, weil es mir ja gut geht und dieser Person offenbar nicht. Ihr geht es ja niemals gut. Es sei denn, ich bin in ihrer Nähe. Was ich ja augenblicklich nicht bin, was bedeutet: die Person ist jetzt sehr, sehr unglücklich und das meinetwegen und wird mir deshalb die Ohren vollheulen. Also würde ich am liebsten gar nicht anrufen, aber ich fühle mich verpflichtet, denn ich habe diese Person allein gelassen.
Und ich habe zu allem Überfluss auch noch Spaß hier, während sie ganz allein zu Hause sitzt und dem vor Hunger dahinsiechenden Hamster zuschaut.
So einfach im Übrigen kann der Loyalitätskonflikt geschürt werden, und zwar sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen.
Dass dieser Stuss also beim Kind meist nur eine weitere, verzweifelte, panische Reaktion und oft auch eine vollständige, minutenlange Auflösung herbeiführt, ist in diesem Kontext nur nachvollziehbar. Und auch die Reaktion vor dem Telefonat, da das Kind bereits erwartet, was da gleich kommt.
“Denn sie wissen nicht, was sie (ihren Kindern an)tun”.
Doch was tun die Eltern ihren Kindern mit diesem Verhalten an? Es sind im Wesentlichen fünf Punkte, aus meiner Sicht die eine nachhaltig negative Auswirkung auf die Entwicklung des Kindes haben können:
- Verstärkung von negativen Emotionen: Wenn Eltern ihre Kinder in ihren negativen Emotionen bestätigen, indem sie ihre eigene Negative Verfassung schildern und verdeutlichen, dass diese mit der Abwesenheit des Kindes zusammenhängt, kann dies dazu führen, dass diese Emotionen verstärkt werden. Indem sie zum Beispiel sagen: “Ich fühle mich so allein ohne dich”, können Eltern dazu beitragen, dass das Kind in seinem negativen Gefühl gefangen bleibt, anstatt sich zu beruhigen. Hinzu werden dadurch Schuldgefühle vom Kind entwickelt und ein Verantwortungsgefühl für das Wohlbefinden des Elternteils.
- Einschränkung der Resilienz: Kinder müssen lernen, mit emotionalen Herausforderungen umzugehen und Resilienz zu entwickeln. Wenn Eltern ihre Kinder in ihren negativen Gefühlen bestätigen, indem sie diese vorleben und mit dem Kind in Verbindung bringen, nehmen sie dem Kind die Möglichkeit, resilienter zu werden und mit schwierigen Situationen umzugehen.
- Verzerrte Wahrnehmung der Realität: Durch übermäßige Bestätigung ihrer Kinder in ihren negativen Gefühlen und durch die Spiegelung dieser Gefühle können Eltern dazu beitragen, dass diese eine verzerrte Wahrnehmung der Realität entwickeln. Das Kind kann lernen, dass die Welt immer bedrohlich oder problematisch ist, ohne die Möglichkeit zu haben, die Situation realistisch zu bewerten.
- Abhängigkeit von äußerer Bestätigung: Wenn Kinder ständig darin bestätigt werden, dass ihre negativen Gefühle gerechtfertigt sind, weil Mami/Papi ja genauso fühlen, können sie sich daran gewöhnen, immer nach äußerer Bestätigung zu suchen. Dies kann zu einer Abhängigkeit von anderen Menschen führen, um mit ihren Emotionen umzugehen, anstatt ihre eigenen inneren Ressourcen zu nutzen.
- Mangelnde Förderung von Lösungsstrategien: Wenn Eltern ihre Kinder in ihren negativen Gefühlen auf diese Art bestätigen, kann dies dazu führen, dass das Kind keine angemessenen Lösungsstrategien entwickelt. Anstatt das Kind zu ermutigen, nach Lösungen zu suchen oder mit Schwierigkeiten umzugehen, wird es in seinen negativen Gefühlen gefangen gehalten, ohne einen Ausweg zu finden.
Handeln um die Kinderpsyche zu schützen!
Wenn sie einer solchen Situation schon mehrmals als sog. Umgangs-Elternteil beiwohnen mussten, thematisieren Sie die beim Jugendamt/Verfahrensbeistand oder in der zuständigen Beratungsstelle.
Sollte jedoch das Phänomen eintreten, dass keiner zuhört oder dass zwar zugehört und genickt wird, es aber hinterher allen egal ist, sprechen Sie Ihren Anwalt darauf an. Ein solches Verhalten der anderen Elternperson stellt eine ernsthafte Kindeswohlgefährdung dar, es schädigt das seelische Kindeswohl, zeugt von Bindungsintoleranz des anderen Elternteils und kann u.U. ein ernstzunehmender Hinweis auf eine instabile Persönlichkeitsstruktur des Elternteils oder sogar psychische Probleme hinweisen – mit allen denkbaren Folgen für das Kind.
Bestehen Sie auf eine Überprüfung der Erziehungsfähigkeit des anderen Elternteils um die dauerhafte Schädigung des Kindeswohls abzuwenden.
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